Im zweiten und letzten des Teil des Interviews beantwortet Sergey Lawrow die Fragen seiner drei Gäste aus den USA zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit. Er erläutert auch seine Vision einer Zeitenwende mit der künftigen Epoche einer multipolaren Weltordnung.
Sergey Lawrow: «Der deutsche Geheimdienstchef sagt inzwischen,
‚dass wir nicht vor 2029 [mit dem Krieg in der Ukraine] aufhören sollten!»
Die Fragen der Gäste aus den USA stellten:
- Mario Nawfal ist Gastgeber der größten Show auf X mit prominenten Gästen
- Andrew (Judge) Napolitano ist Gastgeber der Plattform «Judging Freedom»
- Larry C. Johnson ist politischer Kommentator, ehemaliger CIA-Analyst und Mitgründer der Vereinigung «Veteran Intelligence Professionals for Sanity» (VIPS).

Larry C. Johnson: Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinem eigenen Land [USA] noch trauen kann, doch ich weiß, dass die russische Regierung ernsthaftes Interesse an einer diplomatischen Lösung zeigt. Was mich nachdenklich stimmt und das höre ich von Leuten in wichtigen Positionen jetzt immer wieder – das ist: Als die Vereinigten Staaten 1972 unter Nixon zynischer Weise die Beziehungen zu China wiederherstellten, geschah das mit dem ausdrücklichen Ziel, sich die Sowjetunion vorzunehmen und darüber sicherzustellen China und Russland auseinanderzudividieren.
Ich habe von mehreren Leuten gehört und weiß auch von Elbridge Colby, der so etwas, wie die Nummer drei Position im US-Verteidigungsministerium antritt, dass China als Feind angesehen wird. Glauben Sie, dass man Russland von China trennen möchte, um über Russland einen Keil gegen China zu treiben.
Ich würde so eine Politik als töricht einstufen: Denn im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten nimmt die russische Regierung ihre Vereinbarungen ernst und hält sich an diese. Wie wird Russland Ihrer Meinung nach reagieren, wenn es darum geht, mit einer solchen – nennen wir es – Täuschung der Vereinigten Staaten umzugehen? Einerseits wird Ihnen die Hand zur Freundschaft gereicht, doch zugleich hat man den Wunsch nicht aufgegeben, Ihr Land zu zerstören und Sie noch dazu zynisch auf China anzusetzen?
Sergej Lawrow: Nun, wir haben das, wie Sie erwähnten, bereits im Jahr 1972 durchgemacht, als Präsident Richard Nixon anstrebte, dass die Beziehungen sich nach einem solchen Dreieck ausrichten sollten: Die Beziehungen zwischen USA und China und diejenigen zwischen USA und Russland sollten beide in Kombination besser sein, als die Beziehungen zwischen Moskau und China. Nun, das war eine schöne philosophische Konstruktion.
Aber die aktuelle Situation sieht völlig anders aus: Wir hatten noch nie so gute, vertrauensvolle und langfristige Beziehungen zu China, wie sie von der Bevölkerung beider Länder unterstützt werden.
Die Amerikaner wissen, dass wir unsere Verpflichtungen nicht aufgeben werden – rechtliche Verpflichtungen, aber auch politische Verpflichtungen, die wir mit den Chinesen eingegangen sind. Zwar gibt es auch Probleme und Schwierigkeiten in unseren Beziehungen, hauptsächlich wegen der Sanktionen, weil Unternehmen vermeiden wollen, [von den USA] bestraft zu werden.
Einige vielversprechende Logistik- und Infrastruktur-Projekte in Sibirien verzögern sich. Aber wir haben es nicht eilig und die Chinesen haben es natürlich nie eilig – (Gelächter). Sie blicken immer über den Horizont hinaus. Das entspricht dem Nationalcharakter und wir respektieren das.
Ich werde eigentlich auch kein Geheimnis verraten, als sich Präsident Joe Biden und Präsident Wladimir Putin im Juni 2021 – während der COVID-19-Pandemie – in Genf trafen. In einem kurzen Gespräch – nur noch mit den Außenministern anwesend – sagte Joe Biden, dass er den «Absolutismus der Demokratie» hinterfrage, weil jene Länder, die autoritäre Herrscher hätten, viel besser mit der COVID-Infektion als in den USA umgingen. In den Staaten hätte jeder Bundesstaat seinen Spielraum und könne entscheiden, ob geimpft werde oder nicht. China und Russland sagte er, hätten besser gehandelt als viele andere. Doch das war ein philosophischer Exkurs.
Nach derselben Logik kann man diskutieren, ob vier Jahre ausreichen, um etwas Langfristiges zu realisieren, insbesondere angesichts moderner, sehr komplizierter, hochentwickelter Technologien, die eine Neuausrichtung von Wirtschaftssektoren erforderlich machen. Oder gar zwei Jahre, denn wenn man die US-Zwischenwahlen verliert, könnte der Kongress das verhindern.
Ich denke, die Antwort lautet, dass jede Nation über ihr Schicksal und ihre Zukunft selbst bestimmen soll. Das entspricht auch der Charta der Vereinten Nationen, welche die souveräne Gleichheit der Staaten und das Nichteinmischungsprinzip vertritt.
Ich nenne das Beispiel Afghanistan: Das «demokratische Experiment» dort ist total gescheitert. Es hat die jahrhundertealten Gewohnheiten und ungeschriebenen Regeln jener Kultur völlig ignoriert. Man sollte sehr vorsichtig sein und die Dinge nicht aufzwingen. Präsident Trump sprach bereits ein Treffen der «Drei» an – USA, China und Russland. Er erwähnte, dass er gerne über Atomwaffen und Sicherheitsfragen sprechen wolle.
Wir wären für jedes Format offen, das auf gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und unvoreingenommenen Lösungen beruht. Wenn unsere chinesischen Freunde Interesse hätten, wäre es ihre Entscheidung. Dies soll jedoch nicht die Bedeutung des russisch-amerikanischen Dialogs zur strategischen Sicherheit schmälern. Donald Trump und seine Mitarbeiter haben ihr Interesse an der Wiederaufnahme solcher Gespräche wiederholt zum Ausdruck gebracht.
Präsident Wladimir Putin antwortete, dass dies ein Bereich sei, in dem wir eine besondere Verantwortung trügen – insbesondere, zumal der START-III-Vertrag in einem Jahr auslaufen werde. Das jetzt folgt einem ganz anderen Ansatz im Vergleich zu dem, was die Administration unter Joe Biden verfolgte. Letztere wollten die Umsetzung des START-Vertrags aufgreifen und einige unserer Nuklearstandorte besuchen. Wir erwiderten, dass die USA uns zu Feinden erklärt hätten mit dem Ziel, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Sie meinten, dass dies einige taktische und technische Besuche vor Ort nicht ausschließe – [allgemeine Erheiterung].
Präsident Trumps Position ist, wie ich schon eingangs anmerkte, dass wir – neben jeglichen Differenzen – Krieg nie zulassen dürften. Zugleich gilt es, nicht Chancen zu verpassen, um aus gemeinsamen Interessen etwas Praktisches und Nützliches zu entwickeln.

Mario Nawfal: Marco Rubio hat selbst gesagt, dass wir uns auf eine multipolare Welt zubewegen und Sie sagten, dass Chinesen und in gewissem Maße auch Russen, stets über den Horizont hinausblicken und kurzfristige Entwicklungen ignorieren.
Glauben Sie also, dass es am Horizont – ich weiß, ich greife der Zeit voraus – sagen wir, innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht nur eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und den USA geben könne, sondern ggfs. eine Rückkehr zu einem Bündnis zwischen den beiden Ländern? Darüber sprechen gewisse Kreise…
Sergej Lawrow: Ein Bündnis bedeutet, zumindest historisch gesehen – und das ist tief in unserer Mentalität verankert – dass man sich gegen jemanden verbündet.
Multipolarität, die Marco Rubio anerkannt hat, ist etwas anderes: Wie kann man Multipolarität anerkennen, ohne Giganten wie China, Indien, Afrika als Kontinent, Lateinamerika, Brasilien und eine ganze Reihe anderer nicht anzuerkennen?
Meiner Meinung nach wird sich Multipolarität über einen längeren Zeitraum hin entwickeln und voraussichtlich eine historische Epoche einleiten. Meiner Vision nach könnte das Supermächte gewisser Größe, wirtschaftlichen Gewichts und militärischer Macht, insbesondere im nuklearen Bereich, umfassen. Die USA, China und Russland fallen sicherlich in diese Kategorie. Diejenigen, die nicht so groß sind, könnten über subregionale Strukturen an einer solchen multipolaren Welt teilhaben: Zum Beispiel ASEAN, GCC (Golf-Kooperationsrat), die Liga der Arabischen Staaten. Die Afrikanische Union hat übrigens letztes Jahr den Status eines Vollmitglieds der G20 erhalten. Die Liga der Arabischen Staaten strebt dasselbe an – wir unterstützen das.
G20 ist übrigens das Format, das sich inzwischen nicht nur finanztechnisch und wirtschaftlich, sondern auch politisch, als nützlich erweist. Die G20 Staaten könnten eine sehr positive Rolle im Prozess der Multipolarität spielen. Ja, es gibt immer noch Reste von Feindseligkeit, aber es gilt das Konsensprinzip. Sie stimmen nicht ab, daher ist die Vereinigung vielversprechender als die Generalversammlung der Vereinten Nationen, wohin sich Länder hin und wieder, wenn sie etwas im Sicherheitsrat nicht durchbringen konnten wenden, um dann in der Generalversammlung eine Show mit Abstimmungen, Anschuldigungen und dergleichen zu veranstalten.
Aber nicht nur Marco Rubio sprach über Multipolarität. Donald Trump sprach über die NATO und ich habe bereits auf seine wiederholten diesbezüglichen Aussagen verwiesen. Die NATO war einer der Gründe [des Ukraine-Konflikts]. Wir bestehen darauf, dass jeder Ansatz, jeder Versuch, um sich der Ukraine-Krise zu nähern, sowie jede Initiative – die meisten davon sind recht vage – sich auf die Grundursachen des Konflikts konzentrieren sollten. Donald Trump bestätigte, dass eine der Hauptursachen [für den Konflikt in der Ukraine] die NATO-Erweiterung war, welche eine Bedrohung der Sicherheit Russlands darstelle.
Ich möchte übrigens unter diesen neuen Umständen nach dem 20. Januar betonen, dass die Bedeutung der Ukraine für die Sicherheit Russlands um ein Vielfaches größer ist, als die Bedeutung Grönlands für die Sicherheit der USA!
Das zweite Problem im Zusammenhang mit den Grundursachen: Ich habe auch auf die Eliminierung der russischen Sprache, russischer Medien und russischer Kultur, wie auf das Verbot von Oppositionsparteien und einigen Oppositionsmedien, die sogar in ukrainischer Sprache veröffentlicht wurden und in ukrainischer Sprache arbeiteten, [in der Ukraine] hingewiesen. Dazu kommen noch die Ermordung und das Verschwinden von Journalisten – ganz zu schweigen von den Kriegsverbrechen gegen die Menschen im Donbass unmittelbar nach dem Putsch, als sie als Terroristen gebrandmarkt wurden. All dies verstößt in grober Weise gegen die UN-Charta, die vorschreibt, dass jeder die Menschenrechte jedes Menschen ungeachtet seiner Rasse, seines Geschlechts, seiner Sprache oder seiner Religion zu respektieren hätte. Das steht ganz oben – im Artikel 1 der UN-Charta.
Ich habe an den Generalsekretär der Vereinten Nationen appelliert und die Journalisten in den Vereinten Nationen hinterfragt. Bei jedem meiner Besuche gebe ich eine Pressekonferenz. Im Übrigen habe ich jene Journalisten auch wegen einer ganzen Reihe von Dingen herausgefordert, die vom Westen instrumentalisiert werden, um Russland, wie den schlimmsten Verbrecher zu verurteilen. Es hat mit dem Abschuss der malaysischen Boeing MH17 im Juli 2014 begonnen. Der Prozess fand statt, wobei nur ein Zeuge persönlich anwesend war. Zwölf weitere Zeugen wurden nicht vorgeladen. Ihre Namen sind nicht bekannt. Aber die Jury sagte, dass sie zuverlässig seien und den Verdacht bestätigten. Alles scheint sehr undurchsichtig!
Der Fall der Vergiftung der Skripals in Salisbury: Offizielle Anfragen an die Behörden des Vereinigten Königreichs, in denen Fragen zum Schicksal und Aufenthaltsort russischer Staatsbürger gestellt worden waren, wurden komplett ignoriert. Sie haben uns heftig kritisiert – sie haben uns beschuldigt – sie haben dies genutzt, um die Sanktionen zu verschärfen. Und dann haben sie das alles wieder vergessen!
Das Gleiche gilt für Alexej Nawalny, der im Gefängnis starb, während er seine Strafe verbüßte. Aber was geschah, als er ein paar Jahre zuvor nach einer vermeintlichen Vergiftung in Russland behandelt wurde? Er wurde innerhalb von weniger als 24 Stunden nach Deutschland überstellt und dort behandelt. Das ist eine interessante Geschichte: Wir haben Fragen gestellt, weil er russischer Staatsbürger ist und wollten die Wahrheit wissen, was mit ihm passiert sei. Die Deutschen sagten, dass das zivile Krankenhaus nichts gefunden habe, worauf er im Bundeswehrkrankenhaus behandelt wurde. Dort, so sagten sie uns, hätten sie die Substanz „Nowitschok“ in seinem Blut gefunden. Wir baten darum, den Test zu sehen, was ganz natürlich ist, weil er unser Bürger ist. Wir werden beschuldigt, ihn misshandelt zu haben, doch sie sagten:
„Nein, wir können Ihnen das nicht geben, weil Sie dann vielleicht herausfinden könnten, wie viel Fachwissen wir in Bezug auf biologische Substanzen haben. Wir geben das der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW)!“
Wir gingen zu dieser Organisation und sagten: „Auch wir sind Mitglied des OVCW und die Deutschen sagten, sie hätten es an die OVCW gegeben!“ Sie erwiderten: „Ja, die Deutschen haben es uns gegeben, aber unter der Bedingung, dass wir es Ihnen nicht zeigen.“ (Gelächter). Es klingt kindisch, doch gleichzeitig tragisch!
Ich habe viele westliche Journalisten wiederholt öffentlich gefragt: „Warum wollen Sie – als Journalisten – nicht die Wahrheit wissen? Eine Person, die vom Westen zum Märtyrer gegen die Russische Föderation als Bösewicht, gemacht wurde. Sie wollen nicht erfahren, was ihm tatsächlich zugestoßen ist und wie und womit er in Deutschland behandelt wurde, bevor er nach Russland zurückkehrte“.
Der letzte Vorfall bezieht sich auf Bucha. Als Geste des guten Willens im Hinblick auf die Unterzeichnung des Istanbuler Abkommens im April 2022 zogen wir uns zwei Tage später aus einer Reihe von Dörfern in der Umgebung von Kiew zurück. Zwei Tage, nachdem wir besagten Ort, Bucha, verlassen hatten, strahlte ein BBC-Team Bilder von der Hauptstraße in Bucha aus: Auf beiden Seiten lagen Leichen entlang der Straße ordentlich aufgereiht. Natürlich gab es einen Aufschrei, worauf wir auf eine Untersuchung bestanden. Doch bis heute hat sich niemand für Ermittlungen interessiert. Wir wollen die Namen der Toten, nur die Namen der Menschen, deren Leichen von der BBC gezeigt wurden. Ich habe dieses Thema zweimal öffentlich im Sicherheitsrat vor dem Generalsekretär angesprochen. Ich habe es ihm gegenüber angesprochen. Wir haben eine formelle Anfrage an den Hohen Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen geschickt: Keine Antwort! Zweimal habe ich das Thema in New York vor allen Auslandskorrespondenten angesprochen und dabei vergeblich an deren beruflichen Ehre appelliert.
Ich spreche über Menschenrechte und die Aufrichtigkeit unserer westlichen Freunde. Europa und Großbritannien wollen ganz sicher, dass dies so weitergeht. Die Art und Weise, wie sie Selenskyj nach dem Skandal in Washington in London empfangen haben, ist ein Hinweis darauf, dass sie den Einsatz erhöhen und etwas vorbereiten wollen, um die Trump-Regierung zu aggressiven Maßnahmen gegen Russland zu nötigen. Wir sehen das gelassen und wissen, was wir zu tun haben.
Doch am meisten hat mich die Besessenheit für Friedenstruppen erstaunt. „Friedenstruppen–Präsident“ Macron sagte: „Lasst uns aufhören. In einem Monat würden Friedenstruppen entsandt werden. Dann werden wir sehen, was als Nächstes zu tun ist!“
Es entspricht nicht dem, was wir für das Ende dieses Krieges erforderlich erachten. Wir wissen, dass dieser Krieg durch die Ukraine unter direkter Beteiligung ihrer Militärs [des kollektiven Westens] gegen uns geführt wird. Wenn die NATO-Erweiterung, zumindest von Donald Trump als eine der Hauptursachen anerkannt wurde, dann wäre die Anwesenheit von Truppen aus NATO-Ländern unter jeder Flagge und in jeder Funktion auf ukrainischem Boden dieselbe Bedrohung.
Mario Nawfal: Werden Sie das unter keinen Umständen akzeptieren?
Sergej Lawrow: Unter keinen Umständen! Niemand spricht auch mit uns:
Sie sagen immer wieder: „Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine!“ aber sie tun alles über Russland ohne Russland!
Trump sagte übrigens, als er nach Friedenstruppen gefragt wurde, dass es zu früh sei, darüber zu diskutieren, da man aber normalerweise die Zustimmung der Parteien dazu brauche. Warum sollten wir der Friedenstruppe zustimmen, die sich aus den Ländern, die uns zum Feind erklärt haben, zusammensetzt, um als Friedenstruppe zu uns zu kommen?
Weiters geht es um die Rechte und das Schicksal der Menschen, die nicht nur in den befreiten Gebieten leben, sondern auch in den Gebieten, die unter der Kontrolle des Regimes blieben. Die meisten von ihnen sprechen Russisch. Sie bilden einen Teil der russischen Kultur und wollen, dass ihre Kinder Russisch sprechen und lernen.
Meine Frage lautet, ob diese Gesetze, welche die russische Sprache verbieten, in jenem Gebiet, das von der Ukraine übrigbliebe, aufgehoben werden würden. Doch dazu gibt es keine Antwort…
Eine andere Frage lautet, ob Sie dieses Denkmal für Bandera, der mit Hitler kollaborierte und vom Nürnberger Tribunal in Abwesenheit angeklagt und verurteilt wurde, noch behalten wollten. Als dieses Denkmal zum ersten Mal dem israelischen Außenminister gezeigt wurde, sagte er, dass er das nie vermutet hätte, dass es so etwas gäbe!
Sollte der Rest der Ukraine dieses Denkmal und das Verbot der russischen Sprache beibehalten sowie die Fackelmärsche mit Insignien von SS-Divisionen weitergehen – dann, bei allem Respekt: Dies wäre keine Gruppe oder Truppe zur Friedensbewahrung – vielmehr:
Dies wäre eine Gruppe, die das Nazi-Regime erhalten und schützen würde!
Das wäre ein absolutes No-Go!
Judge Napolitano: Darf ich Sie etwas zum Gaza-Streifen fragen? Präsident Putin hat seine Empörung über den Völkermord im Gaza-Streifen zum Ausdruck gebracht. Wie wird das Außenministerium reagieren, falls das Netanjahu-Regime den Iran angreift, wie Ministerpräsident Netanjahu öffentlich angedroht hatte?
Sergej Lawrow: Glücklicherweise unterhalten wir bisher gute Beziehungen zu Ministerpräsident Netanjahu.
Präsident Putin betont immer, wenn er über diese Region spricht, dass es ohne einen palästinensischen Staat und ohne eine verlässliche Sicherheitsvereinbarung für Israel keine Lösung geben könne.
Die beiden Staaten wurden durch den Beschluss der Generalversammlung von 1948 geschaffen und bedingte im Grunde die Schaffung und Existenz eines Staates gegen die Schaffung und Existenz eines anderen.
Jetzt spricht jeder, der einen palästinensischen Staat will, von den Grenzen von 1967. Diese unterscheiden sich jedoch stark von den Grenzen im Jahr 1948, welche die Grenzen Israels und Palästinas werden sollten. Wenn man sich die Karte ansieht, gleichen die Grenzen von 1967 einer Galaxie im Vergleich zu dem, was man heute hat und die Westbank besteht nur noch aus Siedlungen.
Die neueste Entwicklung, über die ich in vielen Berichten las, besagt, dass die Israelis beschlossen hätten, die Westbank auf eine bestimmte Art und Weise zu annektieren, indem sie die vollständige Kontrolle über sie übernehmen wollten, ohne die Palästinenser zu vertreiben, sondern in mehreren Gemeinden zu konzentrieren – nicht in Lagern.
Mario Nawfal: Ist der Iran auch Teil der aktuellen Verhandlungen? Was die Friedensverhandlungen zur Ukraine angeht, schließt das auch andere geopolitische Fragen mit ein? Wenn Präsident Putin und Präsident Trump miteinander sprechen, geht es dabei ausschließlich um die Ukraine oder auch andere geopolitische Interessen Russlands?
Sergej Lawrow: Wir haben die Situation am Persischen Golf und das gemeinsame umfassende Aktionsprogramm zur iranischen Atomfrage besprochen. Wir sind für die Wiederherstellung des ursprünglichen Programms, von dem die Amerikaner unter der ersten Trump-Administration Abstand genommen haben. Es gibt dazu auch einige Kontakte auf europäischer Seite.
Wir wären für die Wiederaufnahme des Formats, welches das ursprüngliche, vom Sicherheitsrat gebilligte Abkommen erarbeitet hatte, durch Frankreich, Deutschland, Großbritannien, USA, Russland, China und Iran.
Wir werden sehen, wie es läuft. Aber es macht Sorge, dass einige Anzeichen dafür sprechen, dass die Amerikaner dieses neue Abkommen mit politischen Bedingungen verknüpfen bzw. auf eine nachweisbare Vereinbarung bestehen wollen, wonach der Iran keine Gruppen im Irak, im Libanon, in Syrien oder anderswo unterstützen dürfe. Ich glaube nicht, dass das durchgehen wird. Denn, alle Länder am Golf üben Einfluss über die Grenzen ihrer Königreiche oder Emirate bis z.B. Nordafrika aus. Sie führen eine ganze Reihe humanitärer und wirtschaftlicher Programme durch und vermitteln viel, wie beispielsweise im Sudan: Die innenpolitische Krise im Sudan wird von einigen Akteuren am Golf auf die eine oder andere Weise gehandhabt. Zu sagen, dass jeder das Recht habe, Einfluss auszuüben, außer dem Iran, halte ich für unrealistisch!
Larry C. Johnson: Was ist mit Präsident Putins Erklärung vom Juni 2024 zu den Bedingungen für eine Einigung oder sogar für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Ukraine? Meiner Meinung nach ist Präsident Putins Position dieselbe geblieben. Ihre Position ist dieselbe geblieben, wie die des Präsidenten. Das hat auch Vizeminister Sergej Rjabkow gesagt. Und doch glaube ich, dass es im Westen einige gibt, die glauben, dass Sie das nicht wirklich meinten, was Sie sagen?
Sergej Lawrow: Sollen sie sich doch irren! Wissen Sie, unser Gewissen ist sehr klar und rein. Es ist nicht rein, weil wir es selten benutzen – [Gelächter]:
Es ist so, weil wir uns so oft die Finger verbrannt hatten, dass wir bei dieser speziellen Krise wissen, was getan werden muss, und dass wir keine Kompromisse eingehen, die das Schicksal der Menschen gefährden würden!
Es geht nicht um die Gebiete, es geht um die Menschen, denen ihre Geschichte per Gesetz genommen wurde.
Als Selenskyj im September 2021, lange vor der Operation, in einem Interview gefragt wurde, als der Krieg noch unter Verletzung der Minsker Abkommen andauerte, was er von den Menschen auf der anderen Seite der Kontaktlinie halte, da sagte er – es ist immer noch im Internet zu sehen, Sie können es sich ansehen – es gebe Menschen und es gebe „Kreaturen“ und weiter:
Und wenn jemand, der in der Ukraine lebt, das Gefühl habe, dass er oder sie ein Teil der russischen Kultur sei, dann rate ich denen, um Ihrer Kinder willen und für die Zukunft Ihrer Enkelkinder, dass Sie nach Russland gehen und die Ukraine verlassen sollten!
Das war derselbe Mann, der nur wenige Jahre zuvor als Schauspieler und dann als Präsidentschaftskandidat gesagt hatte: „Hört auf, die russische Sprache anzugreifen!“ Das ist aktenkundig.
Aber die Abfolge der Ereignisse hat uns dazu gebracht, uns absolut darauf zu konzentrieren, Ergebnisse zu erzielen, die den Menschen zugutekommen und sie retten können.
Diejenigen, die sagen: „Nun, wir müssen die Ukraine auf den Stand von 1991 zurückbringen und Russland muss raus!“ hat man zu entgegnen: Gebiete sind nur deshalb wichtig, weil Menschen in diesen Gebieten leben. Die Menschen, die in den Gebieten, welche Selenskyj zurückhaben will, leben, sind Nachkommen derer, die über Jahrhunderte hinweg Odessa und andere Städte auf genau diesen Gebieten erbaut hatten – die Häfen und Straßen gebaut und diese Gebiete erschlossen haben und die mit der Geschichte dieses Landes verbunden sind.
Im Übrigen hat die UNESCO unter dem enormen Druck der Ukraine bekannt gegeben, wonach das Zentrum von Odessa nun zum Weltkulturerbe gehöre, was es auch verdient. Aber die Entscheidung wurde eine Woche nach dem Umsturz und der Zerstörung des Denkmals von Katharina der Großen, der Gründerin von Odessa, bekannt gegeben – UNESCO machte einfach weiter, als wäre nichts geschehen!
Hier nur eine kurze Abfolge der Ereignisse: Bei den Wahlen 2004 treten zwei Kandidaten an – einer gilt als prorussisch, der andere als proamerikanisch und ist mit einer amerikanischen Politologin verheiratet. Bei der zweiten Wahlrunde 2004 gewinnt der prorussische Kandidat. Aber die Menge, angestachelt von Europäern, fordert größtenteils eine Überprüfung dieses Ergebnisses. Unter enormem Druck ordnet das Verfassungsgericht der Ukraine, eine dritte Wahl-Runde, die in der Verfassung nicht vorgesehen ist, an. Das Verfassungsgericht hat die verfassungsmäßigen Verfahren ohne jegliche Berechtigung erweitert. Dann gewinnt der pro-westliche Kandidat, Herr Viktor Juschtschenko. Gut, es kam zu keinem Maidan, keiner Revolution, niemand hat die Menschen dazu angestiftet.
Danach gewinnt bei den nächsten Präsidentschaftswahlen der Kandidat, der als pro-russisch galt, Herr Viktor Janukowitsch, auf sehr saubere Weise. Niemand stellt ihn in Frage. Doch, dann begann Herr Janukowitsch 2013 – vielleicht sogar schon früher, aber im Jahr 2013 gipfelte es – Verhandlungen mit der Europäischen Union über den Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit der EU, aufzunehmen. Es wurde bekannt – so etwas kann man nicht verheimlichen.
Unsere Experten begannen, den ukrainischen Kollegen zu erklären, dass man bei einem Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf viele Artikel Null-Zollsätze erhält. Die Ukraine hat auch bei uns Null-Zollsätze, weil die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten eine Freihandelszone ist. Doch, wir haben einen gewissen Schutz in unserem Handel gegenüber der Europäischen Union, den wir bei unserem Beitritt zur WTO ausgehandelt hatten. Es könnte also eine Situation entstehen, in der europäische Waren, für die wir einen gewissen Schutz ausgehandelt hatten, in die Ukraine importiert würden. Doch, es gab keine Zollgrenze zwischen der Ukraine und Russland. Wir hätten diese Grenze also schließen müssen. Putin ließ der Europäischen Kommission, die damals von José Manuel Barroso geleitet wurde, vorschlagen, dass wir drei – die EU, Russland und die Ukraine – uns zusammensetzen und besprechen sollten, um mit diesen Diskrepanzen umzugehen, sodass niemand darunter litt. Doch Herr Barroso antwortete nur: „Das geht Sie nichts an – wir diskutieren auch nicht über Ihren Handel mit Kanada. Tun Sie, was Sie wollen!“
Anschließend bat Präsident Viktor Janukowitsch um eine Verschiebung der Unterzeichnung dieses Assoziierungsabkommens, um das besser zu verstehen. Das war der Auslöser für besagten „Maidan“, der gut vorbereitet war:
Hunderte Zelte der gleichen Machart, der gleichen Farbe, der gleichen Ausstattung. Dieser „Maidan“ gipfelte im Februar 2014, während Deutschland, Frankreich und Polen zwischen dem legitimen Präsidenten und der Opposition verhandelt hatten. So fing es an. Sie erzielten eine Einigung, die, wie gesagt, am nächsten Morgen zunichte gemacht wurde, als die Opposition [die Putschisten] sagte[n]: „Wir sind jetzt an der Macht und die Regierung!“
Hätten sie die Vereinbarung, die sie mit Hilfe der Deutschen, Franzosen und Polen unterzeichnet hatten, eingehalten, stünde die Ukraine jetzt genau dort, wo sie diese heute haben wollten – in den Grenzen von 1991, einschließlich Krim. Sie entschieden sich jedoch für Ungeduld. Denn, hätten sie fünf Monate auf die vorgezogenen Wahlen gewartet, hätten sie gewonnen, weil die Wählerschaft in der Ukraine sehr stark von USAID „massiert“ worden war. Die Zahlen dazu, sind jetzt aufgetaucht und wurden von Donald Trump im Kongress verlesen… Victoria Nuland hat tatsächlich nach diesem Putsch gesagt:
… wir haben so viel für den Sieg der Demokratie in der Ukraine getan und für diese spezielle Revolution fünf Milliarden Dollar ausgegeben!
Dann kam es zum Minsker Abkommen. Hätten sie die Minsker Abkommen eingehalten, hätten sie die alten Grenzen von 1991 behalten können – ohne die Krim. Die Krim wurde in den Minsker Verhandlungen nicht mehr erwähnt, weil allen klar war, dass es sich um eine sehr saubere und faire Volksabstimmung gehandelt hatte. Es gab Hunderte westliche Beobachter – nicht offiziell, aber über Parlamentarier, die präsent waren.
Zu den Verhandlungen im April 2022 in Istanbul sagte Präsident Macron, dass Präsident Putin versucht habe, Selenskyj etwas aufzuzwingen. Das ist eine weitere Lüge von Macron. Denn das Papier, das von uns und den Ukrainern paraphiert wurde, war durch die Ukrainer vorbereitet worden. Wir hatten das akzeptiert. Es beinhaltete einfach:
- keine NATO
- keine Militärstützpunkte
- keine Militärmanöver.
Anstelle von NATO wurden Garantien von den „Ständigen Fünf“ plus Deutschland und der Türkei angeboten. Die Liste war offen: Jeder, der wollte, hätte sich als Garant in die Liste eintragen können. Diese Garantien galten nicht für die Krim und jenen Teil des Donbass, der zu diesem Zeitpunkt von Russland kontrolliert wurde. Besagte Grundsätze wurden paraphiert und es wurde vereinbart, auf dieser Grundlage ein Vertragspapier erstellen zu lassen. Doch, dann tauchte Boris Johnson auf und sagte:
Tut es nicht – kämpft weiter!
Genauso wie der deutsche Geheimdienstchef inzwischen sagt, dass wir nicht vor 2029 [mit dem Krieg in der Ukraine] aufhören sollten. Doch, vielleicht wollen sie Donald Trump aussitzen? (Gelächter)!
Wären sie also kooperativ gewesen und hätten sie aus eigener Initiative geliefert, hätten sie immer noch die Grenzen von 1991, abzüglich der Krim und eines Teils vom Donbass.
Doch, jedes Mal, wenn sie betrügen, verlieren sie und es geht weiter!
Larry C. Johnson: Man sagt, Sie seien ein Metternich der Neuzeit, aber ich meine, das ist falsch. Man sollte vielmehr sagen, dass Metternich der Lawrow seiner Zeit war!
Sergey Lawrow: Ich danke Ihnen!
***
Übersetzung: UNSER-MITTELEUROPA
Teil 1 des Interviews erschien: HIER
Außenminister Lawrow stellt sich drei speziellen Gästen aus den USA zum Gespräch – Teil I
Von unserer Redaktion ‚Zeitgeschichte und Globalpolitik‘.
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UNSER-MITTELEUROPA-Beiträge unter «Zeitgeschichte und Globalpolitik» mögen deutschsprachigen Lesern wie auch Historikern als ergänzende Zeitdokumente dienen, nachdem die gängige Massenberichterstattung im deutschen Sprachraum zu politischen Themen oftmals von Tendenzen einer mehr oder weniger lückenhaften Darstellung, wenn nicht immer stärker werdenden Zensurbestrebungen geprägt ist. Beiträge von Gastautoren müssen nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.