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Frankreich 1940: Den Feldzug gewonnen – den Krieg verloren

Auszug aus Sonderheft Deutscher Geschichte Heft SO 2/2020

Gastbeitrag von Dr. Gert Sudholt, Herausgeber

Am 1. September 1939 um 4.45 Uhr überschreiten Truppen der Deutschen Wehrmacht die Grenze zu Polen. Am 2. Septemberschlägt die italienische Regierung  auf Drängen des Quai d’ Orsay die Einberufung einer Viererkonferenz vor, die versuchen soll, eine friedliche Lösung des deutsch-polnischen Streits zu finden. Da aber die englische Regierung zur Bedingung macht, dass Deutschland vorher die bereits besetzten polnischen Gebiete wieder räumen müsse, scheitert der vom französischen Außenminister Georges Bonnet vorgeschlagene Konferenzplan. Zu den entschiedenen Gegnern einer Viererkonferenz zählt die zum Krieg gegen das Deutsche Reich hetzende Churchill-Fraktion, unterstützt von Roosevelt aus der Zweiten Reihe. Am 3. September um 11 Uhr, erklärt Großbritannien den Krieg. Um 17 Uhr tut die französische Regierung – nicht ohne Heimlichkeit und ohne das Parlament zu befragen ­– das Gleiche. Der zweite Europäische Krieg im 20. Jahrhundert, der 1941 mit dem Eintritt der USA zum Weltkrieg ausarten wird, hat am 3. September begonnen.

Nicht einmal ein Dreivierteljahr war es her, dass der damalige deutsche Außenminister nach Paris gereist ist, um den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich vertraglich zu sichern. Am 5. Dezember war von Ribbentrop in der deutschen Botschaft in Paris in der Rue de Lille angekommen. Tags darauf wurde der Nichtangriffspakt mit Außenminister Bonnet im großen Salon de l’ Horloge zu Quai d`Orsay unterzeichnet. Ribbentrop empfand den Abschluss dieser deutsch-französischen Vereinbarung als einen Höhepunkt seiner Bemühungen um die deutsch-französische Verständigung. Doch die Atmosphäre in Paris war bereits bei diesem Besuch frostig, wenn nicht sogar eisig, wie Zeitzeugen berichten. Grund: vor allem das  Anfang November 1938 erfolgte Attentat auf den deutschen Legationsrat  vom Rath durch Herschel Grünspan und die sich daraus ergebenden Ausschreitungen gegen Juden in Deutschland. Ob diese sich zufällig aus einer Pogrom Stimmung heraus ergeben haben oder dieser deutsch-französische Vertragsabschluss von dritter Seite torpediert werden sollte, kann nur Vermutung bleiben. Ribbentrop jedenfalls ist nach einem verkürzten Besuchsprogramm  aus Paris gekränkt und enttäuscht abgereist.

Seitdem hatten die Spannungen zwischen Berlin und Paris nicht zuletzt wegen der Besetzung Prags im März 1939 ständig zugenommen. Es folgte schließlich auf die deutsch-polnischen Kriegshandlungen des 1. September zwei Tage später die französische Kriegserklärung an Deutschland und nach dem bekannten Sitzkrieg, von deutscher Seite der Beginn des Westfeldzugs am 10.Mai 1940. Bereits 60 Tage später musste Frankreich um einen Waffenstillstand nachsuchen. Auch von Friedensverhandlungen war kurzfristig die Rede. Dieser Waffenstillstand galt für die Franzosen zwar als hart, wurde aber durchaus als ehrenhaft empfunden. Der greise Marschall Philippe Pétain führte in den folgenden vier Jahren von Vichy aus die nicht besetzten Landesteile und tat alles in seiner Macht stehende, um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland zu erreichen. Nicht zuletzt hoffte man in Vichy, wie uns Jacques Benoist-Méchin als unmittelbar beteiligter Entscheidungsträger in seinen Erinnerungen mitteilt, dass zwischen dem Reich und Frankreich unter gewissen Voraussetzungen im Sommer 1940 ein Friedensvertrag geschlossen werden könnte. Die französische Regierung bemühte sich intensiv darum. Hitler jedoch konnte sich zu einem derartigen Schritt nicht durchringen und lehnte ihn ab, nicht zuletzt wegen der Mussolini-Forderung nach Abtretung Nizzas sowie unmäßiger Ansprüche in kolonialer Hinsicht ab. Rückblickend erscheint dies als ein entscheidender Fehler, gab er doch damit England und auch dem Roosevelt freundlichen US- Botschafter Leahy die Möglichkeit, in Vichy ständig gegen Deutschland zu intrigieren. Das schwache Restfrankreich konnte nicht als Partner gewonnen werden, wie es die Vichy-Regierung angestrebt hätte.

Deutschland stand im Sommer 1940 nach dem Blitzkrieg und raschem Sieg in Europa auf einem militärischen Höhepunkt. In dieser Phase der deutschen Erfolge wurden erstmals die politischen Umrisse einer künftigen Europapolitik Hitlers deutlich. War schon aus der Resttschechei ein Reichsprotektorat gebildet worden, so wurden in den von Deutschen besetzten Ländern wie Norwegen Reichskommissare eingesetzt, ebenso auch in den Niederlanden und in Verwaltungseinheit Belgien und Nordfrankreich. Schon die Bezeichnungen Reichskommissar und Reichsprotektorat hatten für die Norweger, Dänen, Belgier oder Holländer einen unerfreulichen Beigeschmack. Sie verstärkten Ahnungen, dass Hitler später die Absicht haben könnte, ein Großgermanischen Reiches auszurufen. Dieses hätte, so stand zu befürchten, kontinentalimperialistische Züge gehabt, verbunden mit einer Großraumwirtschaft unter deutscher Führung. Fremdherrschaft, unter welchem Vorzeichen auch immer, führt jedoch stets zu Widerstand und stößt auf Ablehnung. Das vor Kriegsausbruch immer wieder angeführte Argument des Rechtes auf Selbstbestimmung der Völker galt jetzt nicht mehr. Es zeichnete sich damals ab, dass das Reich keine Freunde hatte und seine Vormachtstellung in Europa zu Ablehnung in den Nachbarländern führte.

Hitler vertiefte sich in den Sommermonaten zum einen auf die Planung des Unternehmens Seelöwe, d.h. die Besetzung der britischen Insel, die er jedoch nur halbherzig betrieb. Vom 16. Juli 1940 stammt eine operative Aufzeichnung Hitlers zu diesem Thema, die nach dem Kriege von der britischen Admiralität aus den Akten des OKM veröffentlicht wurde. Nach mehreren, immer wieder verschobenen Angriffsdaten wurde die Planung dann endgültig zu den Akten gelegt. Ähnlich erging es der Luftschlacht um England. Diese wurde anfangs mit großem Einsatz gegen die Royal Air Force betrieben und kurz vor einem Sieg abgeblasen. Hier erkennen wir einen Charakterzug Hitlers, der auf Unsicherheit und Zögerlichkeit schließen lässt, der letztendlich auch Fehlentscheidungen zur Folge hatte.

Der Führer und Reichskanzler hatte gewiss schon den Ostfeldzug auf seiner Agenda, als er im Hebst 1940 zu seiner längsten politischen Auslandsreise aufbrach. Gespräche mit der französischen und spanischen Regierung standen auf seinem Terminplan. Mehr als 6.000 Kilometer legte der Sonderzug in einem Europa zurück, dessen ferneres Schicksal vom Willen des deutschen Führers bestimmt schien.

Auf dem ländlichen Bahnhof zwischen Paris und Bordeaux hielt der Sonderzug am 22. Oktober in strahlender Herbstsonne einen ganzen Nachmittag. Das erste Ergebnis dieses Gesprächs mit Ministerpräsident Pierre Laval war eine für den übernächsten Tag anberaumte Unterredung mit dem greisen Marschall Pétain, das dann unter sehr würdigen äußeren Formen doch ohne greifbares Ergebnis stattfand. Die französischen Überlegungen konzentrierten sich auf die Frage eines Friedensschlusses, auf die Zukunft der unter besondere Verwaltung gestellten nordfranzösischen Gebiete sowie Elsaß-Lothringen. Auf einen Friedensschluss wollte Hitler jetzt – bei Fortdauer des Krieges mit England nur unter Voraussetzung eines gleichzeitigen Kriegseintritts Frankreichs auf deutscher Seite eingehen. Rückblickend stellt sich die Frage, ob es nicht weitsichtiger gewesen wäre ein neutrales Frankreich anzustreben, das ähnlich wie das in zunächst wohlwollender Nichtkriegführung verharrendes Italien still gehalten und so den Europäern viel Blutvergießen erspart hätte.

Die Erwartungen, mit denen Hitlerseinem Treffen mit General Franco, dem Staatschefs Spaniens, entgegensah, waren weder gering noch unbegründet. Nicht einmal anderthalb Jahre waren vergangen, seit das deutsche Expeditionskorps, die Legion Condor, nach manchen glücklichen und für Francos Sieg wichtigen Waffentaten Spanien verlassen hatte. Die Kontakte zwischen den Regierungen beider Staaten waren seitdem freundschaftlich geblieben. Die Franco-Regierung hatte sich nach Italiens Kriegseintritt zu der vor Mussolinis Kriegseintritt erstmals aufgestellten Formel einer Nichtkriegführung, d.h. zu einer betont deutschfreundlichen Neutralität bekannt. Die Madrider Regierung hatte auch bei der Einleitung der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich eine von Pétain angetragene Vermittlerrolle gespielt. Durch die Waffenstillstandsbedingungen mit Frankreich gab es zwischen Deutschland und Spanien eine direkte Landverbindung bei Hendaye. Hitler wollte nun bei diesem Treffen von Franco – ganz im Sinne des von ihm angestrebten Friedensschlusses mit Großbritannien – eine Zusage, dass Spanien den freien Weg nach Gibraltar, Englands Pforte zum Mittelmeer, versperren würde, es somit aus diesem Raum ausschalten würde, um London durch diesen neuen Schock endlich verständigungsbereit zu machen.

Wie wir heute wissen, war Admiral Canaris zwar im Auftrag der Reichsregierung jedoch mit durchaus eigenen Vorstellungen zur Vorbereitung dieser Begegnung nach Madrid zu Franco gereist Dabei hat offenbar der Chef der militärischen Abwehr den spanischen Regierungschef beschworen, diesem Wunsch Hitlers unter allen Umständen eine Absage zu erteilen. So ist es denn auch geschehen. Das Treffen mit Franco verlief ergebnislos. Hitler reiste verärgert nach Deutschland ab.

Zurück in München erhält er am 25. Oktober von Mussolini die überraschende Nachricht vom geplanten italienischen Angriff auf Griechenland. Bereits am 28. Oktober treffen sich Mussolini und Hitler in Florenz im Palazzo Vecchio. Vergeblich versucht Hitler, dem Achsenpartner diesen Angriffsplan auszureden, sagte ihm schließlich dennoch militärische Unterstützung zu. Noch am selben Abend kehrte der enttäuschte und von düsteren Ahnungen befallene Reichskanzler deprimiert nach München zurück. Im Herbst 1940 stand Deutschland zwar als Herrscherin Europas  und unbesiegte militärische Macht auf dem Zenit jener Jahre. Doch der Schein war bereits trügerisch. Die kommenden Ereignisse warfen, wie wir in der Rückschau klar erkennen können, bereits ihre Schatten voraus. Hitler wäre weder Staatsmann noch Feldherr gewesen, hätte er nicht bereits in jenen Oktobertagen erkannt, dass es seinen möglichen Partnern in Europa sowohl am Willen als auch an der notwendigen Weitsicht fehlte, um den Kontinent gegen einen künftigen Ansturm anderer Völker zu einen. In jenen Oktobertagen zeichnete sich ab, dass der Westfeldzug zwar gewonnen war, das große Ringen um die Zukunft jedoch erst noch richtig beginnen würde.

Während seiner nächtlichen Fahrt in seinem Sonderzug wird ihm vieles durch den Kopf gegangen sein. Seine Optionen für die Zukunft waren begrenzt. Das berühmte Bismarck- Wort „Wenn der Mantel der Geschichte vorüberwehe, bleibe dem Staatsmann nur wenig mehr übrig, als ihn zu erfassen“  wird ihn auf dieser Reise begleitet haben. Die bittere Erkenntnis, dass die bislang glänzend gewonnenen Feldzüge, wohl vergebliche Siege waren, blieben das Fazit seiner Besprechungen in Montoire, Hendaye und Florenz. Und tatsächlich: Der Mantel der Geschichte  wehte nicht mehr an ihm vorüber. Das Schicksal schien über ihn und über das von ihm geschaffene Reich den Stab zu brechen.

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Von Redaktion

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