web analytics
Sleepy Joe & Co verfehlten das Ziel… Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Matterhorn_disaster_Dore.jpg Attribut: Gustave Doré, Public domain, via Wikimedia Commons

„Wir brauchen echte internationale Demokratie…“

 

Von ALFRED DE ZAYAS | Präsident Joe Bidens schlecht durchdachter virtueller „Gipfel der Demokratie“ vom 9. bis 10. Dezember war in Wirklichkeit ein Public Relation Spektakel, welches für die Vereinigten Staaten wahrscheinlich nach hinten losgehen wird, denn Demokratie ist keine Ware und auch keine Kalaschnikow, die sich gegen geopolitische Rivalen richtet. Präsident Biden verwendet ein veraltetes Drehbuch. Seine Berater hätten ihm sagen sollen, dass der Stunt nur diejenigen überzeugen wird, die bereits an den Mythos der US-Demokratie glauben. Es wird den USA keine neuen Freunde bescheren.

Nach der Website des US-Außenministeriums ließ die Administration von Biden verlauten, dass die Erneuerung der Demokratie für die USA und die ganze Welt unerlässlich wäre, um den Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Das klingt gut, aber was heißt das konkret? Wir können Präsident Biden darin zustimmen, dass „keine Demokratie perfekt und jemals vollendet ist. Jeder Schritt nach vorne, überwundene Hürde ist das Ergebnis entschlossener, unaufhörlicher Arbeit…“ Aber wir sollten mit dem Wiederaufbau unserer eigenen Demokratie beginnen, bevor wir anderen Staaten deren Weg vorschreiben.

Biden sieht nach dem ersten Gipfel für Demokratie noch einen zweiten folgen, an dem führende Persönlichkeiten aus Regierung, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft teilnehmen, doch andere gezielt ausgeschlossen werden sollen. Sein erklärtes Ziel ist es, „eine positive Agenda für die demokratische Erneuerung aufzustellen und die größten Bedrohungen, denen Demokratien heute ausgesetzt sind, durch gemeinsames Handeln zu bekämpfen“. So soll der erste Gipfel ein „Aktionsjahr“ in Vorbereitung auf einen Nachfolgegipfel im Jahr 2022 einleiten.

Das Datum des ersten Gipfels weist auf gewisse Symboliken hin: Vor 73 Jahren, am 9. Dezember 1948, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Völkermordkonvention. Der 9. Dezember ist zugleich Internationaler Antikorruptionstag. Dazu verabschiedete die Generalversammlung am 10. Dezember vor 73 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Es ist interessant zu sehen, wer eingeladen wurde und wer nicht. Gemäß der Website des Außenministeriums wurden 110 Länder eingeladen, darunter berüchtigte „Demokratien“ wie:

  • Brasilien, bekannt für seine undemokratische Landnahme und die anhaltende Zerstörung seiner indigenen Bevölkerung unter Jair Bolsonaro, einem Trump-ähnlichen Autokraten;
  • Kolumbien, wo Paramilitärs weiterhin ungestraft indigene und soziale Führer töten;
  • Indien, welches sich am Völkermord in Kaschmir und hochgradig undemokratischen Traditionen auf seinem gesamten Territorium schuldig macht;
  • Indonesien, das den West-Papuanern weiterhin die Selbstbestimmung verweigert;
  • Israel, dessen Apartheidpolitik gegen Palästinenser weltweit von Menschenrechtsaktivisten verurteilt wird;
  • Spanien, welches sich schuldig machte Vertreter von Menschenrechten und Redefreiheit sowie Verfechter katalanischer Selbstbestimmung zu inhaftieren.

Als besonders amüsant stieß auf, dass die USA den unpopulären und selbsternannten „Interimspräsidenten“  und Undemokraten Venezuelas, Juan Guaidó einlud, während die von der UNO anerkannte Regierung ausgeschlossen blieb.

Welche Glaubwürdigkeit kann Bidens Gipfel haben, wenn er Millionen von Menschen von der Teilnahme ausschließt? Bidens Team entschied sich für das, was die Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden als „Groß-Zirkus-Anlass“ tituliert, der abträglichen diplomatischen Widerstand der ausgeschlossenen Nationen und Völker in Kauf nimmt, doch nur auf geopolitischen Verbündete und Günstlingswirtschaft gerichtet unweigerlich für Doppelmoral und unerklärliche Ungereimtheiten sorgt.

Und was genau versteht Biden unter dem Wort „Demokratie“? Nur periodische Wahlen? Ist es nicht wichtiger, die Realität zu testen, ob die Wahlen echte Wahlmöglichkeiten bieten? Ob sie Veränderungen in der nationalen und internationalen Politik bewirken können? Ob die Wählerschaft eine sinnvolle Möglichkeit hat, Einfluss auf die Auswahl von Kandidaten zu nehmen? Ob die Bevölkerung von den Regierungen proaktiv informiert und regelmäßig zu ihren Bedürfnissen befragt wird? Besteht ein wirklicher Zusammenhang zwischen dem Willen der Bevölkerung und der sie betreffenden Regierungspolitik?

Es ist die Beteiligung aller Akteure, die Demokratie funktionieren lässt. Ebenso wäre es die Teilnahme aller Staaten, um dem Gipfel Legitimität zu verleihen. Es ist ein Trugschluss oder Oxymoron anzunehmen, dass ein solch ausgrenzendes Ereignis noch demokratisch wäre.

Ein echter „Demokratiegipfel“ kann und sollte von den Vereinten Nationen einberufen werden und allumfassend sein, basierend auf Multilateralismus und Souveränität in Gleichheit. Angesichts der wiederholten Provokationen des Atlantischen Bündnisses (NATO) gegen Weißrussland, China und Russland braucht die internationale Gemeinschaft jetzt dringend kühlen Kopf und Entspannung. Niemand braucht einen spaltenden Gipfel, der von einem Gastgeber ins Leben gerufen wird, der Beschlüsse der UN-Vollversammlung und des UN-Menschenrechtsrats systematisch ignoriert und die Aktionen im UN-Sicherheitsrat durch sein Veto gegen mehr als 80 Resolutionen vereitelt – hauptsächlich um Israel vor Kritik oder Sanktionen zu schützen.

Anlässlich des 60. Jahrestages des Inkrafttretens der UN-Charta fand 2005 bei der UNO ein wirklich inklusiver Gipfel statt. Der UN-Weltgipfel endete mit einem „Schlussdokument“, das einstimmig als Resolution 60/1 der Generalversammlung annahm und bekräftigt, dass Demokratie ein universeller Wert ist basierend auf dem frei geäußerten Willen der Menschen, ihr eigenes politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System und ihre volle Teilhabe an allen Aspekten ihres Lebens zu bestimmen.“ Vor allem aber stimmte die internationale Gemeinschaft im Gegensatz zu dem US-amerikanischen Patentanspruch auf Demokratie darin überein, dass „die Demokratien zwar gemeinsame Merkmale haben, es aber kein einheitliches Demokratiemodell gibt, welches nur einem Land oder einer Region gehört“ und bekräftigte die Notwendigkeit der gebührenden Achtung vor der Souveränität der Staaten und des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

2005 wurde bei den Vereinten Nationen ein Demokratiefonds eingerichtet. Hier könnten die USA einen wichtigen Beitrag leisten, anstatt das UN-System zu verlassen und einen „exklusiven Club“ der „Guten“ vorzuschlagen, um die „Bösen“ zu konfrontieren. Dies gleicht einer veralteten Mentalität aus Zeiten des Kalten Krieges.

Internationale Demokratie bedeutet, die gleichberechtigte Teilhabe aller zu gewährleisten und die souveräne Gleichheit der Staaten und ihr Recht zu respektieren, die Dinge anders zu sehen als wir. Nationale Demokratie bedeutet die Achtung der Meinungsvielfalt, was den Zugang zu freien Informationen gewährleitet, doch vorgefasste Nachrichten oder soziale Kontrolle durch Zensur durch die Regierung und ihre Echokammern verhindert.

Wann werden die USA, das Vereinigte Königreich und die Europäische Union verstehen, dass „Demokratie“ die Macht des Volkes, die proaktive Konsultation der Öffentlichkeit, die Durchführung von Referenden und das Erreichen sozialer Gerechtigkeit bedeutet?

Eine „wertebasierte“ Diplomatie, wie sie angeblich von den USA, Großbritannien und der EU praktiziert wird, hätte eine gewisse Gültigkeit, wenn sie wirklich auf Werten wie Frieden und Menschenrechten basierte, wenn sie objektiv und nicht willkürlich wäre, wenn sie nicht mit zweierlei Maß messen würde. Leider ist sie nur ein Schwindel.

Bidens „America Is Back“ erinnert uns unangenehm an Trumps „Make America Great Again“: Beide Slogans deuten darauf hin, dass die USA weiterhin an ihrer imperialen Arroganz festzuhalten und die Menschheit herumzukommandieren gedenkt.

Dieser kontraproduktive „Gipfel“ wird von den meisten wieder vergessen sein, sowie er zu Ende gegangen ist. Die Geschichte wird ihn als PR-Gag entlarven – eine faule Übung des Selbstlobs und Provokation gegenüber anderen Kulturen, wie die der Chinesen, Ungarn oder Russen.

Es wäre leicht für die USA sich wieder Respekt zu verschaffen. Es genügte, die Grundsätze der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu praktizieren, die die damalige Präsidentin der UN-Menschenrechtskommission Eleanor Roosevelt 1948 so erfolgreich verabschiedete.

Der Artikel im Original in englischer Sprache erschien auf Truthout, siehe: Hier

Zum Autor:

Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas ist Professor für Völkerrecht an der Geneva School of Diplomacy und war in hohen Funktionen für die die Vereinten Nationen im Sekretariat des Hohen Kommissars für Menschenrechte tätig.



Von Redaktion

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert