Jure Vujić: Kroa­tien muss Leit­li­nien aus seiner eigenen philo­so­phi­schen und poli­ti­schen Tradi­tion ziehen

Jure Vujić · Foto: Vokativ

Der Poli­to­loge Jure Vujić spricht mit Vokativ.hr über die konser­va­tive Revo­lu­tion, Popu­lismus, die post­li­be­rale Gesell­schaft und die Probleme der poli­ti­schen Rechten in Kroatien.
 

Jure Vujić ist ein kroa­ti­scher Poli­tik­wis­sen­schaftler, Diplomat und Rechts­an­walt. Er studierte Rechts­wis­sen­schaften an der Univer­sität Paris Paris II (Univer­sité Panthéon Assas – Paris II) und ist Mitglied der Pariser Anwalts­kammer. Als erster ziviler Student absol­vierte er 2006 die Kriegs­schule der kroa­ti­schen Streit­kräfte „Ban Josip Jelačić“. Er beschäf­tigt sich mit Geopo­litik, geostra­te­gi­scher und Meta­po­litik, die er schreibt darüber für Zagreb Vijenac und verschie­dene Pariser Zeit­schriften. Er hat eine Anzahl Bücher in Fran­zö­sisch und Kroa­tisch veröf­fent­licht, von denen wir hervor­heben: Intel­lek­tu­eller Terro­rismus – Here­tical Brevier (2007), Kroa­tien und das Mittel­meer: ​​Geopo­li­ti­sche Aspekte (2008), Un ailleurs euro­péen (2011), Welten­krieg: Eura­sia­nismus vs. Atlan­ti­zismus (2012) und Konser­va­tive Revo­lu­tion: Von Weimar bis zur Gegen­wart (2020).

KREŠIMIR DŽOIĆ: Ende letzten Jahres ist Ihr neues Buch über die konser­va­tive Revo­lu­tion erschienen. Sie haben viele Male über die Ideen der konser­va­tiven Revo­lu­tion geschrieben und gespro­chen, sowohl in den wissen­schaft­li­chen als auch in den popu­lären Medien. In einem Ihrer Artikel haben Sie vor sechs Jahren zu einer konser­va­tiven Revo­lu­tion in Kroa­tien aufge­rufen. Teilen Sie immer noch dieselbe Meinung, und was kann getan werden, damit die Rechten in Kroa­tien die Ideen der konser­va­tiven Revo­lu­tion übernehmen?

JURE VUJIĆ: Der Text, auf den Sie sich beziehen, ist kein Mani­fest oder Appell, sondern ein Beitrag zur Diskus­sion über die Möglich­keit der Entste­hung und des Einflusses der Ideen der „konser­va­tiven Revo­lu­tion“ in Kroa­tien, der auf die Beson­der­heiten des aktu­ellen Kontext einer akuten Iden­ti­täts­krise verweist, die als Reak­tion auf diese Phäno­mene durch eine Reihe von links- und rechts­po­pu­lis­ti­schen Bewe­gungen entstanden ist. Ande­rer­seits wird in Orbáns Ungarn mit der illi­be­ralen Demo­kratie ein neues poli­ti­sches Expe­ri­ment durch­ge­führt, das sich der libe­ralen Demo­kratie entgegenstellt.

Die konser­va­tive Revo­lu­tion als Phänomen ist nicht mono­li­thisch, sondern viel­schichtig, so dass das, was für Polen oder die Slowakei gilt, wo das Modell der katho­lisch-kleri­kalen konser­va­tiven Revo­lu­tion ange­wendet wird, nicht für andere euro­päi­sche Länder mit einer anderen poli­ti­schen Kultur und Tradi­tion gilt.

In Kroa­tien gibt es keine orga­ni­sierte poli­ti­sche Strö­mung dieser Art, abge­sehen von einigen Einzel­per­sonen und Kreisen, die die Ideen der anti­li­be­ralen konser­va­tiven Revo­lu­tion fördern. Obwohl wir in der Vergan­gen­heit auch tota­li­täre kommu­nis­ti­sche Erfah­rungen gemacht haben, ist Kroa­tien nicht wie Polen oder Ungarn, wo es starke rechts­na­tio­na­lis­ti­sche und konser­va­tive poli­ti­sche Tradi­tionen gibt. Mit Ausnahme des anti­kom­mu­nis­ti­schen Diskurses und der patrio­ti­schen neorechten Folk­lore sehe ich keinen großen Unter­schied zwischen der heutigen kroa­ti­schen libe­ralen Linken und der libe­ralen Rechten, die zusammen die libe­rale Demo­kratie, den Menschen­rechts­kult, die Ideo­logie des freien Marktes und den Mone­ta­rismus umfassen und die Grund­lagen der tradi­tio­nellen Welt­sicht und des poli­ti­schen Verständ­nisses untergraben.

Aber man sollte sich bewusst sein, dass Ideen eine Sache sind und Human Resources eine andere. Die Haupt­hin­der­nisse für die Stär­kung der Ideen der konser­va­tiven Revo­lu­tion inner­halb der kroa­ti­schen Natio­nal­kräfte sind neben poli­ti­schem Sektie­rertum und Frag­men­tie­rung die intel­lek­tu­elle Unter­ka­pa­zität und der begrenzte post­kom­mu­nis­ti­sche, provin­zi­elle kate­go­ri­sche Apparat der heutigen Gene­ra­tion von Abge­ord­neten, Poli­ti­kern und Akti­visten, die sich selbst „Rechte“ nennen. Die soge­nannte „patrio­ti­sche Rechte“, die eben­falls liberal ist, bleibt Geisel der binären Fan-Menta­lität, die sich in der Phrase „wir oder sie“ ausdrückt, sowie der sterilen Schar­mützel um Parti­sanen und Usta­schas. Auf der anderen Seite unter­scheidet die katho­li­sche konser­va­tive Rechte oft nicht die konfes­sio­nelle von der poli­ti­schen Öffent­lich­keit oder beschäf­tigt sich ausschließ­lich mit der Mora­li­sie­rung der Gesell­schaft, während sie den Markt­fun­da­men­ta­lismus und Unter­neh­mens­lobbys unter­stützt, die die christ­li­chen Grund­lagen der kroa­ti­schen Gesell­schaft zerstören.

Ich glaube, dass es eine Prio­rität ist, den Gene­ra­tio­nen­wechsel durch­zu­führen, der für das Entstehen einer wahren Rechten, sowohl konser­vativ als auch revo­lu­tionär, notwendig ist, die in erster Linie den kroa­ti­schen natio­nalen und staats­bil­denden Diskurs entpro­vin­zia­li­sieren und ihn in den brei­teren Kontext der euro­päi­schen geopo­li­ti­schen und meta­po­li­ti­schen Narra­tive stellen sollte .

Wir dürfen keine auslän­di­schen poli­ti­schen Modelle importieren

In Kroa­tien gab es zwischen den beiden Welt­kriegen eine leben­dige rechte Szene mit vielen Autoren, die sowohl Kapi­ta­lismus als auch Sozia­lismus kritisch beschrieben und die Notwen­dig­keit einer Mittel­wegs­fin­dung zwischen den beiden Systemen erwogen. Im letzten Jahr­zehnt haben Višeslav Aralica , Stipe Kljaić und Ivan Macut mehrere Bücher und wissen­schaft­liche Arbeiten zu diesem Thema veröf­fent­licht. Was sind die Gemein­sam­keiten oder Unter­schiede zwischen diesen Ideen und den Ideen der Deut­schen Konser­va­tiven Revo­lu­tion aus der Zwischenkriegszeit? 

Zu dieser Zeit kris­tal­li­sierte sich in Kroa­tien die ideo­lo­gi­sche, philo­so­phi­sche und poli­ti­sche Matrix des kroa­ti­schen Konser­va­tismus heraus, und die Träger dieser Bestre­bungen waren Ivo Pilar, Milan pl. Šufflay, Vinko Kriš­ković, Julije Makanec, Kerubin Šegvić, Filip Lukas, Tias Mortig­jija, Milivoj Magdić, Vilko Rieger usw. Sie dachten bereits über die Notwen­dig­keit einer konser­va­tiven Revo­lu­tion im Rahmen des groß­eu­ro­päi­schen Natio­na­lismus nach. Daher sollte Kroa­tien Leit­li­nien aus seiner eigenen philo­so­phi­schen und poli­ti­schen Tradi­tion ziehen. Es zeigt die konser­va­tive Revo­lu­tion als Anspruch, der jenseits des sozia­lis­ti­schen Kollek­ti­vismus und des kapi­ta­lis­ti­schen Indi­vi­dua­lismus als zwei Zwil­lings­brüder die Idee der spiri­tu­ellen Trans­for­ma­tion, die Vertei­di­gung der euro­päi­schen Iden­tität, die Wieder­her­stel­lung der Politik als eine durch die Prin­zi­pien arti­ku­lierte Regie­rungs­kom­pe­tenz fördert die Prin­zi­pien von Impe­rium, Aucto­ritas, Civitas arti­ku­liert. Es steht für das Prinzip der direkten und parti­zi­pa­tiven Demo­kratie, für die Achtung kultu­reller Unter­schiede und die Idee einer orga­ni­schen und soli­da­ri­schen Gesell­schaft im Gegen­satz zu der heute vorherr­schenden parti­to­kra­ti­schen Demo­kratie, Ökonomie und mate­ria­lis­ti­schen Vision der Welt.

Es ist ein meta­po­li­ti­scher Ansatz, der versucht, neue Konzepte und Visionen der Welt basie­rend auf seiner eigenen Tradi­tion und durch die ursprüng­liche Revo­lu­tion von Ideen und internen Trans­for­ma­tionen zu entwi­ckeln. Der Import auslän­di­scher poli­ti­scher Modelle war für das kroa­ti­sche Volk im Laufe der Geschichte oft kata­stro­phal, sei es der bolsche­wis­ti­sche Inter­na­tio­na­lismus, der öster­rei­chisch-unga­ri­sche Monar­chismus oder der südsla­wi­sche Föde­ra­lismus. Diese Modelle schei­terten an der konstruk­ti­vis­ti­schen, künst­li­chen Natur und an der Miss­ach­tung der histo­ri­schen kroa­ti­schen Staats­kon­ti­nuität. Daher sollte auch im Falle der vermeint­li­chen konser­va­tiven Revo­lu­tion in Kroa­tien darauf geachtet werden, den polni­schen, angel­säch­si­schen oder anderen Neokon­ser­va­tismus nicht zu imitieren.

Was die Tradi­tion anbe­langt, sollte die Tradi­tion natür­lich nicht nur vererbt, sondern auch als aktive schöp­fe­ri­sche Kraft wieder­be­lebt werden, ein ideo­lo­gi­scher Anspruch, der von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion weiter­ge­geben wird im Sinne des Wortes Händler , leben­dige Tradition.

Nach einem großen histo­ri­schen Wende­punkt 1945 und fast einem halben Jahr­hun­dert kommu­nis­ti­scher Herr­schaft in Kroa­tien muss die rechte Bewe­gung in unserem Land tatsäch­lich neu aufge­baut werden. Sehen Sie in diesem Zusam­men­hang Verän­de­rungen zum Besseren in der kroa­ti­schen poli­ti­schen Szene?

Ich wäre nicht ehrlich, wenn ich sagen würde, dass es keine posi­tiven Entwick­lungen gibt. Ab den 1990er Jahren wurde mit der Verwirk­li­chung eines unab­hän­gigen Staates Raum für den freien Ausdruck und die Verbrei­tung verschie­dener Ideen geschaffen, so dass die Ideen der konser­va­tiven Revo­lu­tion, des Natio­na­lismus, des Tradi­tio­na­lismus und des Konser­va­tismus teil­weise aufge­nommen und in der Gesell­schaft veran­kert wurden, wenn auch natür­lich nicht genug an Univer­si­täten und im kultu­rellen Bereich, wo das Monopol der links­li­be­ralen Kultur­he­ge­monie über­lebt hat.

Was die Eliten angeht , sollte nicht vergessen werden, dass 1945 in Kroa­tien eine Art Kultur­mord und Aris­tozid statt­fand, ein tiefer demo­gra­fi­scher und gene­ra­ti­ons­über­grei­fender Einschnitt mit der Liqui­die­rung des intel­lek­tu­ellen Bürger­tums. Noch heute leiden wir unter den Folgen davon. Ande­rer­seits wurde in den 1990er Jahren trotz der posi­tiven patrio­ti­schen Aufla­dung und des staats­bil­denden Bewusst­seins die notwen­dige Ablö­sung ehema­liger Eliten, Mitglieder der jugo­sla­wi­schen Nomen­kla­tura, die die Macht­hebel in Medien und Kultur behielten und sich gekonnt in libe­rale Demo­kraten, fehlte.

Was die Eliten betrifft, darf nicht vergessen werden, dass 1945 in Kroa­tien eine Art Kultur­mord und Aris­tozid statt­fand, ein tiefer Bevöl­ke­rungs- und Gene­ra­tio­nen­ein­schnitt mit der Liqui­die­rung des intel­lek­tu­ellen Bürger­tums. Noch heute leiden wir unter den Folgen davon. Ande­rer­seits wurde in den 1990er Jahren trotz der posi­tiven patrio­ti­schen Aufla­dung und des staats­bil­denden Bewusst­seins die notwen­dige Ablö­sung ehema­liger Eliten versäumt; Mitglieder der jugo­sla­wi­schen Nomen­kla­tura behielten die Macht­hebel in Medien und Kultur und verwan­delten sich gekonnt in libe­rale Demokraten.

Es ist inter­es­sant fest­zu­stellen, dass es in Kroa­tien eine radi­kale Linke gibt, kriti­scher gegen­über libe­raler Demo­kratie und Neoli­be­ra­lismus als die kroa­ti­sche Rechte, deren größte ideo­lo­gi­sche Reich­weite gerade das angel­säch­si­sche Modell der markt­li­be­ralen Demo­kratie ist, natür­lich mit einer formal konser­va­tiven Welt­an­schauung. Die kroa­ti­sche patrio­ti­sche und konser­va­tive Rechte sind Geiseln der klas­si­schen Fallen des anti-tota­li­tären Diskurses, der das Monopol der atlan­ti­schen, markt­ori­en­tierten Form der Demo­kratie legi­ti­miert. Die Geschichte kennt andere, euro­päi­sche Demo­kra­tie­mo­delle wie die direkte, parti­zi­pa­tive und korpo­ra­tis­ti­sche Demo­kratie. Sich selbst Anti­glo­ba­listen zu nennen und weiterhin die schul­den­mo­ne­ta­ris­ti­sche Politik des IWF, der WTO usw. zu unter­stützen, Soros anzu­rufen und Hannah Arendt, Karl Popper und Fried­rich Hayek zu zitieren – die das Modell der „offenen Gesell­schaft“ philo­so­phisch legi­ti­mieren – ist Schi­zo­phrenie oder völlige Inkonsistenz.

Das Ende oder die Trans­for­ma­tion des Liberalismus?

Das Schei­tern des Libe­ra­lismus wird im Westen zuneh­mend disku­tiert, und kürz­lich ist ein Buch von Patrick Deneen auf Kroa­tisch erschienen, das darüber spricht. Inwie­weit ist Ihrer Meinung nach die libe­rale Ordnung im Westen heute stabil? Haben Phäno­mene wie der Brexit, Orbans Herr­schaft in Ungarn oder die Wahl von Donald Trump zum Präsi­denten der USA einen schweren Schock ausge­löst oder stellen sie nur eine geringe Bedro­hung für die regie­renden Libe­ralen dar?

Patrick Deneen weist tatsäch­lich auf die Wider­sprüche des Libe­ra­lismus selbst und seine Mängel in Notsi­tua­tionen hin, sagt aber nicht sein Ende voraus. Der heutige Diskurs zum Post­li­be­ra­lismus zeigt, dass Libe­ra­lismus und Kapi­ta­lismus in bestimmten Krisen­si­tua­tionen die Kraft der Trans­for­ma­tion besitzen, um als domi­nantes ideo­lo­gi­sches System zu über­leben. Es ist daher naiv zu glauben, dass die derzei­tige Einfüh­rung bestimmter hoheit­li­cher Maßnahmen im Kontext einer Coro­na­virus-Pandemie – wie etwa Schlie­ßung oder verschärfte Grenz­kon­trollen, staat­liche Inter­ven­tionen im Wirt­schafts- und Gesund­heits­be­reich – das Ende eines libe­ralen Staates und einen radi­kalen Wandel einläutet in einen anderen Staat oder eine andere Gesellschaft.

Die Realität sieht anders aus: Ein libe­raler Staat auf globaler Ebene wird zum Werk­zeug globaler Biopo­litik, die unter dem Para­digma des „Great Reset“ und der „digi­talen Revo­lu­tion“ nicht nur eine neue Form der biopo­li­ti­schen Domes­ti­zie­rung einführen will, sondern auch die Agenda der neuen Politik‑, Kultur- und Sozi­al­an­thro­po­logie. Biopo­li­ti­sche Herr­schaft braucht nämlich keine ideo­lo­gi­schen Narra­tive, um die Massen zu moti­vieren oder die passive Zustim­mung zu erlangen.

Ande­rer­seits sollte man sich bewusst sein, dass der libe­rale Staat nie tota­li­täre Modelle wie „weiche“ und „harte“ Repres­sion von Dissi­denten und Gegnern ausge­schlossen hat, während die Notlage in Form einer Pandemie Über­wa­chungs­maß­nahmen ähnli­cher Art erlaubt hat Orwell­sche Dystopie, schlimms­ten­falls Tota­li­ta­rismus. Der Prozess der „Patho­lo­gi­sie­rung“ poli­ti­scher Dissi­denten ist im Gange, der entfernt, neutra­li­siert, isoliert und reso­zia­li­siert werden sollte. Es ist nämlich paradox, dass die Angst vor dem Coro­na­virus dort erfolg­reich war, wo alle alter­glo­ba­lis­ti­schen, anti­sys­te­mi­schen und anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Bewe­gungen geschei­tert sind: Blockade des globa­li­sierten Wirt­schafts­sys­tems, Stopp des freien Personen- und Waren­ver­kehrs, Zusam­men­bruch der Finanz­märkte, aber auch Neutra­li­sie­rung Wider­stand, der auf kontrol­lierten Face­book-Akti­vismus redu­ziert wurde.

„Popu­lismus braucht Eliten“

Rechts­po­pu­lismus im Westen wird als eine Art Gespenst wahr­ge­nommen. Einige Poli­to­logen wie Jan Werner Müller sehen in ihm eine Bedro­hung der Demo­kratie. Aber wollen die Parteien und Einzel­per­sonen, die in diesen Korb gepfercht sind, wirk­lich die libe­rale Demo­kratie ersetzen?

Das Aufkommen des zeit­ge­nös­si­schen Popu­lismus sollte im Kontext des Aufkom­mens neuer anti-syste­mi­scher poli­ti­scher Kräfte und der Neuge­stal­tung des poli­ti­schen Lebens in parla­men­ta­ri­schen Demo­kra­tien gesehen werden. Nach dem Brexit-Refe­rendum und Trumps Sieg bei den US-Präsi­dent­schafts­wahlen hat sich der Prozess der Diskre­di­tie­rung und Dämo­ni­sie­rung des Popu­lismus deut­lich verschärft. Stei­gende soziale Unzu­frie­den­heit breiter Bevöl­ke­rungs­schichten, Ausschrei­tungen von „Gelb­westen“ in Frank­reich, Wahl­siege popu­lis­ti­scher und souve­räner Bewe­gungen in ganz Europa sind gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Reali­täten, die nicht reduk­tio­nis­tisch oder pauschal als Rand­phä­no­mene betrachtet, als „faschis­tisch“ stig­ma­ti­siert werden können „Gefähr­dung der Demokratie.

Rechts- und Links­po­pu­lismus sollten als zeit­ge­nös­si­sche Rebel­lion des Volkes gegen die Eliten inter­pre­tiert werden. In den meisten Fällen ist Popu­lismus mangels eines konsis­tenten alter­na­tiven Gesell­schafts­mo­dells eher Methode als Lösung. Trotz harscher Kritik an Eliten war Popu­lismus nie ein „elito­phobes“ Phänomen in dem Sinne, dass er jede Form der Zusam­men­ar­beit mit Eliten ablehnt. Als solcher ist Popu­lismus ein gutes Korrektiv für die epis­te­mo­lo­gi­sche und funk­tio­nale Korrup­tion perver­tierter Eliten.

Tatsäch­lich braucht der Popu­lismus selbst eine Elite, und man könnte sagen, dass gerade dieses Verhältnis zwischen Popu­listen und Eliten der Haupt­mangel und die Schwäche popu­lis­ti­scher Bewe­gungen ist. Wenn sie sich nämlich ausschließ­lich auf Eliten­kritik und die Mobi­li­sie­rung von Protest­schichten des Volkes beschränkt, entfernt sie sich oft von einer syste­ma­ti­schen, vernetzten, brei­teren Zusam­men­füh­rung und Gestal­tung eines alter­na­tiven Gesell­schafts- und Regie­rungs­mo­dells. Eine der größten Heraus­for­de­rungen des Popu­lismus ist daher die Fähig­keit des „Volks­blocks“, eine neue poli­ti­sche, intel­lek­tu­elle und wirt­schaft­liche Elite zu gene­rieren, die in der Lage wäre, die alten, abge­nutzten und korrupten Eliten zu ersetzen und die Macht­hebel in der Staat und seine Institutionen.

Die Moderne wird oft mit der Weimarer Repu­blik vergli­chen, die nach ihrem Ende als erfolglos, schwach und deka­dent bezeichnet wurde. Der ameri­ka­ni­sche katho­li­sche Kolum­nist Ross Douthat erklärt die gesamte moderne west­liche Gesell­schaft für deka­dent und behauptet, dass sie kultu­rell, wirt­schaft­lich und sogar tech­nisch stagniert. Gibt es wirk­lich Gründe, die moderne west­liche Gesell­schaft als müde und abge­ma­gert zu bezeichnen?

Absolut. Der russi­sche Schrift­steller Eduard Limonov schrieb: „Der moderne Westen ist eine groß­ar­tige psych­ia­tri­sche Klinik“, eine groß­ar­tige Klinik, in der Pati­enten mit Beru­hi­gungs­mit­teln und Anti­de­pres­siva behan­delt werden. Man darf nicht vergessen, dass wir, wenn wir vom Westen spre­chen, tatsäch­lich von einer perversen Form Europas spre­chen. Gegen­wärtig ist der Westen tatsäch­lich ein Bild der Welt des extremen Westens, das nichts anderes als ein perver­tiertes Bild des spiri­tu­ellen Westens ist, der im 16. Jahr­hun­dert mit dem Eindringen huma­nis­ti­scher und protes­tan­ti­scher Welt­deu­tungen und dem Kampf gegen christ­liche Renais­sance und Plato­nismus, brachten die Aufklä­rung hervor. Es war eine Zeit, in der sich mit dem Prozess der Säku­la­ri­sie­rung, Indi­vi­dua­li­sie­rung und Spiri­tua­lität Politik, Kultur und Ethik von innen heraus auflösten. Dann nimmt Europa den Weg der Moderne und des extremen Westens, den Weg der indi­vi­dua­lis­ti­schen Frag­men­tie­rung der Welt­an­schauung und des Marktgötzendienstes.

Die west­liche Welt ist entsetzt und kämpft gegen den reli­giösen Funda­men­ta­lismus des Ostens und akzep­tiert schi­zo­phren die Spiel­re­geln des extremen Westens, der auf globaler Ebene einen säku­la­ri­sierten Markt­mo­no­the­ismus fördert, der selbst eine Spur von Armut und ethno-konfes­sio­nellem Radi­ka­lismus produziert.

Heute umfasst der Westen alle wirt­schaft­lich entwi­ckelten, indus­tria­li­sierten und moder­ni­sierten Länder der Welt, darunter Japan, Südkorea, Taiwan, Austra­lien sowie ehema­lige kommu­nis­ti­sche Länder. In diesem Sinne bildet der Westen heute keine homo­gene geogra­phi­sche Einheit, sondern eine gedachte, trans­na­tio­nale Kate­gorie, die natio­nale, ethni­sche und reli­giöse Beson­der­heiten tran­szen­diert. Man könnte sagen, dass alles, was die „Verwest­li­chung“ im Denken und Handeln ausmacht, im sozialen, wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Bereich, dem Westen gehört: Markt­de­mo­kratie, das Erbe der Aufklä­rung, Indi­vi­dua­lismus, tech­nisch-wissen­schaft­li­cher Götzen­dienst, Ratio­na­lismus , Konsum­ge­sell­schaft und Säkularisierung.

Trotz dieser Deka­denz des Westens denke ich jedoch, dass wir nicht passiv und nach­denk­lich auf die Rettung Ragna­röks oder das Ende des tausend­jäh­rigen dunklen Zeit­al­ters (Kali Yuga) warten sollten, sondern den nihi­lis­ti­schen Kräften aktiv und verant­wor­tungs­be­wusst entge­gen­treten sollten.

Die Pandemie und die Krise des Liberalismus

Viele Mitglieder der kroa­ti­schen Rechten befür­worten heute Markt­re­formen und die Nicht­ein­mi­schung des Staates in wirt­schaft­liche Prozesse. Sie sind gewis­ser­maßen ein „schwarzes Schaf“, da Sie immer wieder sehr kritisch über den Kapi­ta­lismus geschrieben haben. Ist eine libe­rale Wirt­schafts­po­litik der kroa­ti­schen Rechten heute wirk­lich notwendig, oder?

Ich weiß nicht, ob ich ein „schwarzes Schaf“ bin, weil ich mich nicht als Mitglied der kroa­ti­schen libe­ralen Rechten betrachte, aber ich denke, in diesem Fall ist es in Bezug auf sie besser, ein „schwarze Schafe“ als ein nütz­li­cher Idiot des links­li­be­ralen Systems. Ich leugne nicht den Wert des Marktes, aber ich akzep­tiere den Markt nicht als das ulti­ma­tive Modell sozialer Orga­ni­sa­tion, genauso wenig wie ich ein Apologet jegli­cher Form von Etatismus oder Diri­gismus bin. Auf der poli­ti­schen Bühne ist sichtbar, dass Markt­ideo­logie und Neoli­be­ra­lismus die gesamte ideo­lo­gi­sche Tradi­tion sowohl der Linken als auch der Rechten erschüt­tert und die Entste­hung eines alter­na­tiven, nicht markt­wirt­schaft­li­chen Sozial- und Wirt­schafts­mo­dells verhin­dert haben.

Es sollte auch gesagt werden, dass die Coro­na­virus-Pandemie para­do­xer­weise das wahre Gesicht und alle Mängel des libe­ralen Wirt­schafts­mo­dells offen­bart hat. Die Gesund­heits- und Wirt­schafts­krise brach über Nacht die Markt­dy­namik und den Austausch (aufgrund der Schlie­ßung von Grenzen für den freien Waren- und Perso­nen­ver­kehr) zusammen und führte zu einem Debakel und dem Zusam­men­bruch der arro­ganten libe­ralen Ideo­logie und der Markt­fun­da­men­ta­listen, die heute schamlos Hilfe und Staat suchen Eingreifen, um die Wirt­schaft zu retten.

Und schließ­lich eine Frage im Zusam­men­hang mit der poli­ti­schen Entwick­lung. Die letzten Parla­ments- und Kommu­nal­wahlen zeigten einmal mehr die große Macht der HDZ, die von zahl­rei­chen Skan­dalen und der schlechten Wirt­schafts­lage des Landes nicht erschüt­tert wurde. Sie selbst haben einst durch kroa­ti­sche Souve­räne an poli­ti­schen Prozessen teil­ge­nommen, daher inter­es­siert uns, wie sinn­voll es Ihrer Meinung nach ist, sich unter den Bedin­gungen einer solchen poli­ti­schen Hege­monie der HDZ poli­tisch zu enga­gieren, wie kann die Rechte unter solchen Bedin­gungen Erfolg haben?

In diesem Staat mit einem unar­ti­ku­lierten und handelnden System­recht hat es fast keinen Sinn, daran teil­zu­nehmen, aber ich denke, wir sollten trotzdem versu­chen, einen besseren Einblick in die innen­po­li­ti­sche Parla­ments­po­litik und die Partei­dy­namik zu bekommen. Radi­kale Bewe­gungen und grund­le­gende Verän­de­rungen in Gesell­schaft, Wirt­schaft und Politik sind aufgrund der kapil­laren Korrup­tion und des bestehenden klien­te­lis­ti­schen Parti­to­kra­ti­schen Systems, aber auch aufgrund der allge­meinen unter­wür­figen Denk­struktur kaum umsetzbar. Neben diesem poli­ti­schen Sumpf muss die wahre Rechte einen uner­schüt­ter­li­chen Willen bewahren und in lang­fris­tiger, aber sicher­lich frucht­barer Arbeit auf dem ideo­lo­gi­schen Schlacht­feld (durch Kultur, studen­ti­sches Enga­ge­ment an Univer­si­täten, Medien…) Vernet­zung und Aktion.

Dieser Beitrag erschien zuerst in kroa­ti­scher Sprache bei VOKATIV, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


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