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Leserbrief aus Ungarn

Die Popularität der ungarischen Regierung zeigte bis zum Jahr 2015 eine abnehmende Tendenz, jedoch bekam Orbán – der sich stets darum bemühte, sich als die letzte Bastei Europas zu definieren – durch die Flüchtlingskrise neuen Schwung. Durch die Migration wurde Orbán auf die Bühne der internationalen Spitzenpolitik gestellt, daneben konnte er in der ungarischen Innenpolitik seine Beliebtheit zuerst stabilisieren, später sogar steigern. Nun scheint jedoch der Luftballon in Ungarn zu platzen.

Die Orbán-Regierung verteidigte ihren Standpunkt in der Sache der Migration so heftig, dass als es vor ein paar Tagen klar wurde, dass Migranten in Ungarn doch aufgenommen wurden, die Regierungskommunikation auf das selbst angelegte Minenfeld trat.

Forintmilliarden für den Anti-Migranten-Imagebau Orbáns verschwendet

Seit 2015 propagieren die Orbán-Regierung und die dazu gehörenden Presseorgane, dass Pro-Migration-Organisationen die Einwanderung der Migranten mit Bargeld helfen würden. Sie führten eine Plakatenkampagne mit einem Kostenpunkt von mehreren Dutzend Forintmilliarden darüber, dass die Migranten die Arbeitsplätze der Ungarn gefährden würden. Bezüglich der Ansiedlung und Integration war Orbán um die christliche Kultur besorgt, er betonte mehrmals, dass die Ungarn darauf ein Anrecht hätten zu entscheiden, mit wem sie zusammenleben wollten.

Ebenfalls für mehrere Milliarden organisierten sie eine Volksabstimmung über die Frage, dass Ungarn der Massenmigration nicht zustimmt. Obwohl die Volksabstimmung hinsichtlich der Gültigkeit scheiterte, deklarierte die Regierungspropaganda trotzdem eine „neue Mehrheit”.

Seit mehr als zwei Jahren wird die Regierungskommunikation darauf basiert, dass das Orbán-Kabinett keinen einzigen Flüchtling ins Land lässt, sie verteidigen die Arbeitsplätze der Ungarn, und wer die Einwanderung unterstützt, wird als Soros-Söldner verschrien.

Es wurde verheimlicht, dass Ungarn Migranten aufgenommen hat

Plötzlich entdeckte aber die Regierungskommunikation das Genfer Abkommen, worauf sich beziehend sie nun über geschützte Personen statt Flüchtlingen sprechen. Zuvor war dieser Begriff für die Orbán-Regierung nicht geläufig, und sie verpönte die das Genfer Abkommen erwähnenden Zivil- und Rechtsschutzorganisationen als Agenten von György Soros.

Früher gebrauchte Viktor Orbán den Ausdruck Genfer Abkommen nie. Der Außenminister Péter Szijjártó wollte kein einziges Wort über die Beurteilung der Asylanträge verlieren, er hob lieber hervor, dass nicht Ungarn das erste EU-Land sei, das von Migranten aufgesucht wäre, laut des Dubliner Abkommens müsse auch das Asylverfahren in dem Land durchgeführt werden, wo sie die Grenze der Europäischen Union passierten. „Die Mehrheit betrat das Territorium der EU in Griechenland, dorthin sollten sie zurückgeschickt werden”- formulierte 2015 Szijjártó. Wieso wurde nun eigentlich die Kommunikation der ungarischen Regierung geändert? Warum spricht sie von geschützten Personen statt Flüchtlingen? Warum spricht sie vom Genfer statt dem Dubliner Abkommen?

In diesen Tagen explodierte die Bombe, da sich der stellvertretende Staatssekretär, Kristóf Altusz, der Zeitung „Times of Malta” gegenüber verplappelte und sagte, dass die ungarische Regierung im Geheimen 1300 Migranten in das Land Einlass gewährte. Das stimmt mit der Zahl überein, die Ungarn entsprechend den Quotenbestimmungen sowieso aufnehmen sollte, aber dies wurde bislang von der Orbán-Regierung offensiv abgelehnt.

Die ungarische Opposition und die nicht mit der Regierung verwobenen Presseorgane hacken bei der Regierung über die seit Jahren andauernde, mehrere Dutzende Milliarden kostenden Kampagne einstimmig nach, wodurch sie die Migration als eine Art Invasion darstellten, und sie damit die Migranten dehumanisierten. Gleichzeitig hielten sie die Hysterie und Angst in der ungarischen Gesellschaft bewusst aufrecht. Laut der ungarischen Oppostion stelle nicht, dass die Regierung wirklich Flüchtlinge aufnahm, das Problem dar, sondern, dass das Wort „Flüchtling” im Wörterbuch Orbáns bislang vollkommen fehlte.

Orbán hat sich in seiner eigenen Kommunikationsfalle verfangen

Nun versucht Viktor Orbán zu erklären: was der Unterschied zwischen Migranten und „echten” Flüchtlingen sei, trotz dessen, dass diese Differenzierung geradewegs durch die Kommunikation der Regierung aus den öffentlichen Diskussionen der vergangenen Jahre verbannt wurde.

Der ungarische Premier sprach in seinem, dem Kossuth-Radio gegebenen, Interview am 19. Januar darüber, dass die Regierung geschützte Personen in Ungarn aufgenommen hat. Laut ihm unterscheiden sich die geschützten Personen von den die Landesgrenze verheerenden Migranten darin, dass sie zuerst anklopfen und sich melden würden, dass sie Schutz brauchten. Die Frage lautet nur, ob hierbei eine Obergrenze vorgesehen ist?

Damals wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die Orbán-Regierung permanent kritisiert, sie sagte noch am 5. September 2015 im Zeichen der Willkommenskultur: „es gibt keine Obergrenze des Einlasses der zum Asylrecht Berechtigten”. Darauf basierend läge die Frage auf der Hand, ob es laut Orbán und seinem Kreis eine Obergrenze des friedlichen Anklopfens existiere?

Die Verwirrung der Regierungskommunikation bestärkte ferner, dass es in den vergangenen Tagen klar wurde: Mehrere von den durch Viktor Orbán als „Schutzsuchenden” bezeichneten aufgenommenen Flüchtlingen begingen in Ungarn Straftaten, wie z. B. Diebstahl, Störung der öffentlichen Ordnung des sittlichen Anstandes, Raubüberfall, Gewalt-Exzesse, aber es gab auch Personen, die an Gefangenenmeuterei teilnahmen. Hinzu kam, was die rechtskonservatie Tageszeitung „Magyar Nemzet” (Ungarische Nation) aufdeckte: seit August 2016  wurde ein geheimes Wohnungsprogramm –  EU-Gelder nutzend –  für die aufgenommenen Flüchtlingen gestartet.

Das ungarische Innenministerium reagierte auf beide Nachrichten fast verzweifelt. Das Ministerium betonte, dass niemand, auch die unter internationalem Schutz Stehenden, die Gerichtsbarkeit vermeiden könne, falls sie eine Straftat begehen. Sie würden des Landes verwiesen oder ins Gefängnis gesteckt. Im Eigentlichen bedeutete dies die Bestätigung, die „geschützten Personen” Orbáns begingen in Ungarn tatsächlich Straftaten.

Das Innenministerium bekannte auch, dass der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union durch ein im Jahre 2013 gestartetes Programm auch für ungarische Selbstverwaltungen zur Vermessung des Wohnungsbedarfes für internationale Schutzberechtigte außerhalb der Flüchtlingsheime sowie zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt Unterstützung bot. Das Innenministerium bestätigte: es sei nicht ihre Aufgabe, die Fördermaßnahmen der EU zu beurteilen, somit sicherte das Ministerium die Bedingungen des Zugangs zum Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds für die sich zu bewerben beabsichtigenden Selbstverwaltungen. Das Regierungsorgan wehrte ab: es sei traurig, dass die Europäische Union zur Verpflegung der Schutzberechtigten Gelder sichere, aber sie ignoriere regelmäßig  die für Ausgaben des Grenzschutzes gerichteten Bitten seitens der ungarischen Regierung.

Die Orbán-Regierung hat sich eine gefährliche Rechtfertigungsspirale geschaffen, und ihr wohl ausgeklügeltes Anti-Migrantenbild erlitt schwere Brüche. Die Opposition rief eine außerordentliche Parlamentssitzung zusammen, damit Viktor Orbán persönlich über die durch seine Regierung im Geheimen aufgenommenen Migranten berichte. Die Sitzung erfolgt am 30. Januar , aber genau an diesem Tag trifft sich Orbán mit seinem österreichischen Amtskollegen, Bundeskanzler Sebastian Kurz, in Wien . So wird es sicher, dass er an der außerordentlichen Sitzung nicht teilnimmt, dies sollte aber erneut Munition für die Opposition bedeuten.

 

 

 

 

 

 

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