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Ilonka Tamás / Bild: alfahir.hu

Vor 5 Jahren, im Alter von 99, erwarb Frau Ilonka Tamás aufs neue die ungarische Staatsbürgerschaft in einem erleichterten Verfahren. Als Reaktion darauf wurde ihr vom slowakischen Staat ihre slowakische Staatsbürgerschaft aberkannt. Damit wurde sie in dem Lande, wo sie geboren war, zur Touristin bzw. zu einer Fremden, die in ihrer eigenen Wohnung keine Wohnadresse mehr haben durfte. Der Fall wurde in Kürze im gesamten ungarischen Siedlungsraum im Karpatenbecken bekannt.

Es gibt Menschen, die mit ihrer Lebensgeschichte die Geschichte ihrer Nation veranschaulichen. Die am vergangenen Montag verstorbene 104 Jahre alte Tante Ilonka hat eine solche Lebensgeschichte hinter sich: ihr langes Leben beinhaltet den Leidensweg des Ungartums im Oberland, das heute ein Teil der Slowakei ist.

Sie wurde am 16. Mai 1912. in Gömör im Oberland, damals noch fester Bestandteil des Königreichs Ungarn, geboren. Sie ging in Várgéde in die Grundschule und besuchte danach das Gymnasium in Rimaszombat. Das Abitur legte sie im Jahre 1931 im Lehrerseminar der Ursulinerinnen in Pozsony (Pressburg; slowak. Bratislava) ab. Danach lehrte sie zuerst in Runya und später in Nagybalog an einer Evangelischen Schule. Sie heiratete 1937 den Veterinär Aladár Tamás, mit dem sie zwei Töchter, Judit und Ilona, hatte. Letztere verstarb im Jahre 2012.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt ihr Mann ein Stellenangebot in Ungarn, das er jedoch ausschlug, weil er und seine Frau ihren alten Eltern in der neugegründeten Tschechoslowakei nicht alleine lassen wollten. Ihre Entscheidung hatte allerdings schwerwiegende Folgen, weil sie im Sinne der Beneš-Dekrete ihre Staatsangehörigkeit verloren und künftighin in ihrem Heimatland als Staatenlose weiterleben mussten. Nach langem Ringen erklärte sich ihr Mann bereit, sich “reslowakisieren” zu lassen, um seiner Familie das tägliche Brot sichern zu können. (Viele Ungarn ließen sich “reslowakisieren”, d. h. sie durften die Staatsbürgerschaft behalten und in ihren Wohnorten bleiben, wenn sie erklärten, Slowaken zu sein.) Das war eine Voraussetzung, um die Stelle des Bezirksveterinärs in Nagyrőce bekommen zu können, wo er bis zu seinem Tode lebte und arbeitete.

Nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 1955 zog Tante Ilonka mit ihren Kindern nach Uzapanyitra. Da sie mehr als 4 Hektar Land geerbt hatte, wurde sie als „Kulak” eingestuft und es wurde ihr das Lehramt entzogen. Ihre ehemaligen Schüler erwirkten aber bei den Behörden ihre Rückkehr zum Lehramt. Sie konnte daher schliesslich ab 1958 wieder in der ungarischsprachigen Grundschule in Nagybalogy lehren.

Bis zum Jahre 1974 erzog sie mehrere Generationen ungarischsprachiger Schüler im Oberland. Ihre Arbeit wurde sogar vom Ministerpräsidenten der damaligen CSSR anerkannt und ihr der J. A. Komensky-Preis verliehen, den sie in der Burg zu Prag entgegennehmen durfte.

Tante Ilonka führte ein sehr aktives Gemeinschaftsleben in Csemadok, wo sie Leiterin in mehreren Kulturvereinen war. Auch als Pensionistin blieb sie weiterhin aktiv und war unter anderem unermüdliches Mitglied des Pensionistenklubs in Rimaszombat bis zum Jahre 2001, wo sie – nach der Spaltung des Klubs in einen ungarischen und einen slowakischen Teil – einen ungarischen Pensionistenkreis gründete, der nach dem Siebenbürger Schriftsteller Albert Wass benannt wurde.

Vor 5 Jahren, im Alter von 99, machte Ilonka Tamás von der damals neu eingeführten Möglichkeit Gebrauch, die ungarische Staatsbürgerschaft in einem erleichterten Verfahren erneut zu erwerben. Als Reaktion darauf wurde ihr vom slowakischen Staat ihre slowakische Staatsbürgerschaft aberkannt. Damit wurde sie in dem Lande, wo sie geboren war, zur Touristin bzw. zu einer Fremden, die in ihrer eigenen Wohnung keine Wohnadresse mehr haben durfte. Der Fall wurde in Kürze im gesamten ungarischen Siedlungsraum im Karpatenbecken bekannt.

Für ihr Lebenswerk und ihr vorbildliches Leben erhielt Ilonka Tamás als erste Frau im Oberland die Ungarische Ehrenmedaille. Sie war bekannt als Pädagogin, die ihr Leben und ihre Arbeit für das Fortbestehen des ungarischen Wortes in einem Lande widmete, wo die Mütter schon seit tausend Jahren ihre Kinder diese Sprache lehrten.

Ihre Bekannten kannten sie als eine lächelnde, warmherzige, Seelenruhe ausstrahlende Frau. Zwei Weltkriege, die Verstümmelung Ungarns nach Trianon, Vertreibungen, Enteignungen, Umsiedlungen und Entrechnungen kann man auch anders nicht ertragen. Ilonka Tamás verhielt sich auch ebenso in ihrem letzten Lebensjahren, denn noch als hundertjähriges Mütterchen besuchte sie viele Ortschaften, um den Leuten über ihre Freude erzählen zu können, dass sie die ungarische Staatsbürgerschaft zurückerhalten habe. Obwohl sie diese zweimal verloren hatte, beschuldigte sie niemanden wegen ihres Leidensweges. Ebenso wie János Esterházy glaubte sie fest daran, dass der liebe Gott das ungarische und slowakische Volk zu einer Volksgemeinschaft erschaffen habe, die in einem friedlichen Miteinander leben könne.

In ihrer Angelegenheit gab es auch eine positive Entwicklung: das Europäische Parlament nahm eine Petition von entrechteten Personen entgegen, die das Schicksal von Ilonka Tamás teilten. Es gibt also Hoffnung darauf, dass eine rechtmäßige Untersuchung dieser Fälle beginnt. Tante Ilona verließ diese Welt mit reinem Gewissen und irdische Machinteressen werden ihr im Himmel nichts mehr anhaben können. Diejenigen hingegen, welche nunmehr nicht mehr die Möglichkeit haben, sich bei ihr zu entschuldigen, werden früher oder später für ihr Verhalten Rechenschaft ablegen müssen.

Quelle: Magyar Nemzet (Ungarische Nation) 28.08. 2016., von Lukács Csaba.
URL: http://mno.hu/hetvegimagazin/mennyei-allampolgarsag-1358804

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