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Die Gerüchteküche brodelt. Wird es nach dem Austritt Viktor Orbans aus der Euro­päischen Volkspartei zu einer Neugestaltung der konservativen Kräfte im Europa­parlament kommen? Schon häufen sich die Nachrichten über intensive Gespräche zwi­schen Orbán, Jaroslaw Kaczyński und Matteo Salvini. Werden diese drei mitsamt ihren jeweiligen Parteien den Kern für eine neue EU-Fraktion bilden – und womöglich viele antieuropäische Populisten links (oder rechts) liegen lassen?
 

Für Prognosen ist es wohl noch zu früh, aber eines zeigt sich bereits deutlich: Der Riß zwischen den populistischen Nationalliberalen und den konservativen Abendlandpatrioten (eine Bezeichnung, mit der leider kaum noch die EVP gemeint ist) wird breiter. Es ist dabei vor allem den ostmitteleuropäischen Ländern zugute zu halten, daß sie den zeitweise schwierigen Spagat zwischen Verteidigung des Abendlandes und Kritik an der EU gemeistert haben. Sie haben erfolgreich demonstriert, daß Wertekonservatismus und Nationalismus nicht zwangsläufig Synonyme sind und daß man zu den eigenen christlichen Traditionen stehen, auf seine nationale Vergangenheit stolz sein und trotzdem eine enge Zusammenarbeit der europäischen Völker unterstützen kann.

Diese Botschaft wird zunehmend auch im übrigen Europa vernommen und eben auch von der spanischen Vox oder von Salvinis Lega geteilt, die sich allmählich von ihren europa­skeptischen Partnern in der EP-Fraktion Identität und Demokratie (ID) entfremdet. Selbst Marine Le Pen begreift mittlerweile, daß ihre Forderung nach einem »Frexit« – egal wie sehr diese faktisch oder psychologisch nachvollziehbar gewesen sein mag – sie die Präsidentschaftswahl gekostet und keinerlei Zukunftschancen hat. Sollte es nicht möglich sein, die schwie­rige Frage nach der West- oder Ost-Anlehnung der europä­ischen Konservativen im Sinne einer Europe first-Doktrin zu lösen? Gerade für jene Europäer, die ein halbes Jahrhundert unter russischer Besatzung leben mußten, ist dies die zentrale Frage, die einem gesamteu­ropäischen konservativen Bündnis von Madrid bis Warschau noch im Wege steht.

Doch klafft in der Mitte dieser möglichen Allianz eine empfindliche Lücke. Mitten in die Verhandlungen zwischen Italien, Ungarn und Polen platzte die Nachricht von der Entscheidung der AfD, in ihr Wahlprogramm die Forderung nach einem »Dexit« aufzu­nehmen und die EU höchstens durch ein lockeres Wirtschaftsbündnis zu ersetzen. Zu dieser strategisch wie politischen Fehlentscheidung sei hier nur gesagt, daß sie in ande­ren Teilen Europas, allen voran im Osten, den ohnehin bestenfalls ambivalenten Eindruck, den die AfD mit ihren inneren Zwistigkeiten, ihrer oft zweifelhaften geschichtspolitischen Rhetorik und ihrer eher werteliberalen als wertekonservativen Ausrichtung macht, keineswegs verbessert hat. Gerade heute, da die Konferenz zur Zukunft Europas alle Kräfte bündeln sollte, ist das eine bedauerliche Entwicklung.

Quelle: www.cato-magazin.de / Twitter


2 Gedanken zu „David Engels: Brief aus Warschau – Ein schwieriger Spagat“
  1. Ich spiele einmal den “defensor diaboli”. Vielleicht liegt die AfD mit der Forderung nach einem Dexit nicht ganz daneben. Und das hat mit dem Geld zu tun. Die EZB hat heute erklärt, dass sie eine Inflation auch von über 2% hinnehmen würde. Bisher hat sie eine Mindest-Inflation von nahe 2 % angestrebt und zu diesem Zweck die Geldschleusen geöffnet, vergeblich. Die Zeiten haben sich geändert und es steht eine Inflation – nach der Bundestagswahl auch durch Steuererhöhungen verursacht – ins Haus. Nun wird die EZB Inflation laufen lassen, wie ich es in meinem Buch “Die komplizierte Welt des Geldes” befürchtet habe. Sie wird die Zinsen nicht erhöhen können, weil dies zu einem Absturz der Aktienkurse führen würde (wie 2008). Gegen eine nicht auszuschließende höhere Inflation sind die Deutschen – anders die Franzosen und Italiener – allergisch. Es könnte dann in der Tat der Ruf nach Austritt aus dem Euro erhoben werden, wobei der Austritt aus dem Euro nur durch den Austritt aus der EU möglich ist. Schon Goethe als Finanzminister am Weimarer Hof wursste: Am Golde (sprich Geld) hängt doch alles. Schauen wir mal.

  2. Ja, im AfD-Programm 2021 steht: “Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig.”

    Wie diese “neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft” aussehen kann, steht in den ersten Sätzen des Kapitels “EU und Europa”: “Die AfD steht für die Freiheit und Selbstbestimmung der europäischen Nationen. Wir bekennen uns zu einem Europa der Vaterländer als einer Gemeinschaft souveräner Staaten, die auf all jenen Gebieten zusammenarbeiten, die gemeinsam besser gestaltet werden können. Dazu gehört insbesondere ein freier Handel mit fairem Wettbewerb.”

    Wenn ich auch den erst-zitierten Satz für recht harsch halte, so kann ich mit der Vorstellung der AfD, einer europäischen Vereinigung als “Europa der Vaterländer”, sehr gut leben. Und eine Vereinigung von Staaten, “die auf all jenen Gebieten zusammenarbeiten, die gemeinsam besser gestaltet werden können” (wie das AfD-Programm ausführt), ist mehr als ein “lockeres Staatenbündnis”, wie Sie, Herr Engels, schreiben.

    Mit dem erstzitierten Satz bewertet die AfD die EU offensichtlich als nicht mehr reformierbar. Damit könnte sie richtig liegen. Den “Dexit” als “Fehlentscheidung” zu sehen (wie das Herr Engels tut), heißt nichts anderes, als den Briten ihren Brexit mal wieder als krasse Fehlentscheidung um die Ohren zu hauen.

    Die AfD mit ihrer “zweifelhaften geschichtspolitischen Rhetorik”, Herr Engels? Ja, rhetorisch liegen die manchmal daneben, aber nicht semantisch. Das ist mir so lieber als andersrum.

    Die “AfD mit ihren inneren Zwistigkeiten”? Und wenn schon! Auch das ist mir lieber als die devoten Konjunkturritter und Ideologen der anderen Parteien.

    Man merkt, Herr Engels, dass Sie diesen “Brief aus Warschau” für die Zeitschrift “Cato” schreiben. Diese Zeitschrift hat sich ja neuerdings (ähnlich wie TichysEinblick und Broders AchGut) auf der Seite der “Guten” eingereiht. Jetzt kommt die AfD nur noch schlecht weg und bei den Altparteien, die unsere Gesetze und sogar “unser” Grundgesetz brechen, macht man sich lieb Kind.

    Zurück zur “Neugestaltung der konservativen Kräfte im Europaparlament”: Insofern diese “Kräfte” die nur im nationalen Rahmen funktionierende Demokratie wollen (wie die AfD), spricht nichts gegen eine Mitarbeit der AfD dort. Falls diese neuen “Kräfte” die AfD nicht wollen, sollen sie es eben bleiben lassen. Ich jedenfalls bleibe weiterhin Wähler der AfD, sowohl national als auch auf EU-Ebene.

    PS: Wo, Herr Engels, ist der Unterschied zwischen “wertekonservativ” und “werteliberal”, wenn man der wertkonservativen Verpflichtung nachkommt, die das Grundgesetz uns auferlegt (was man muss!)? Solche Begriffe entgleiten einem leicht in das semantische Nichts.

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