Sergey Lawrow zum Tag des Wissens: «Auf Westen ist kein Verlass!»

Sergey Lawrow beim Moskauer Institut für Internationale Beziehungen am 1.09.2023

Teil I

Lieber Anatoly Wassil­je­witsch, Liebe Freunde,

ich gratu­liere Ihnen allen zum Tag des Wissens. Dieser Tag ist nicht nur ein routi­ne­mä­ßiger Beginn des akade­mi­schen Jahres, sondern ein Datum, an dem wich­tige Veran­stal­tungen statt­finden. Nach den Ferien kommen die Schüler und Studenten zusammen. Sie treffen sich, tauschen Eindrücke und Erleb­nisse aus. Manchmal spre­chen sie auch darüber, was im Land passiert ist.

Nach einer gewissen Zeit der Ruhe sind solche Gespräche immer inter­es­sant. Ich erin­nere mich noch gut, wie wir während meines Studiums mit Anatoly V. Torkunov [Rektor Moskauer Institut für Inter­na­tio­nale Bezie­hungen], nachdem wir von Unter­neh­mungen wieder an die Univer­sität zurück­ge­kehrt waren, uns über die Ereig­nisse ange­regt austauschten, die inzwi­schen vorge­fallen waren, während wir mit der Spitz­hacke die sibi­ri­sche Land­schaft erkun­deten oder in einem Studen­ten­lager Urlaub machten.

Heute geht es bei den Ereig­nissen, über die jeder spricht, wenn er aus dem Urlaub zurück­kehrt, um die Gescheh­nisse in der Ukraine und, um ehrlich zu sein, um den hybriden Krieg, den der „kollek­tive Westen“ schamlos, offen, unver­schämt und aggressiv gegen unser Land führt.

Der Westen hat erkannt, dass seine Pläne, die Ukraine in ein „Anti-Russ­land“ zu verwan­deln und auf ihrem Terri­to­rium einen Brücken­kopf für die mili­tä­ri­sche Eindäm­mung der Russi­schen Föde­ra­tion zu orga­ni­sieren, geschei­tert sind. Sie haben erkannt, dass unsere Geduld nicht gren­zenlos ist und dass wir seit vielen Jahren, begin­nend mit der Münchner Rede von Präsi­dent Wladimir Putin im Jahr 2007, vor der Nicht-Akzep­tanz von Aktionen zur Auswei­tung der NATO nach Osten gewarnt hatten, wie auch: Vor der Miss­ach­tung von Zusi­che­rungen und Verspre­chungen, die der Führung der Sowjet­union und später der Russi­schen Föde­ra­tion gemacht worden waren, vor der völligen Miss­ach­tung der legi­timen Inter­essen unserer Sicher­heit und vor der Weige­rung des Westens, seinen Verpflich­tungen nach­zu­kommen, die Sicher­heit der NATO-Länder nicht auf Kosten der Sicher­heit Russ­lands zu realisieren.

Seit langem warnten wir vor neona­zis­ti­schen Umtrieben in der Ukraine und forderten, dass die russi­sche Sprache nicht einge­schränkt werde. Anstatt diesen rechts­wid­rigen und gegen alle Konven­tionen versto­ßenden Tendenzen Einhalt zu gebieten, hat der Westen sie still­schwei­gend geduldet. Infol­ge­dessen ist der Gebrauch der russi­schen Sprache in der Ukraine im Bildungs­wesen, in den Medien und in der Kultur inzwi­schen gesetz­lich verboten!

Wir haben davor gewarnt, den Staats­streich von 2014 zu akzep­tieren und ein Regime zu unter­stützen, das unter russo­phoben Parolen mit der Bombar­die­rung der russi­schen Bevöl­ke­rung im eigenen Land begann. Im Februar 2015 gelang es, die Minsker Verein­ba­rungen zu verab­schieden, die den Weg für eine Eini­gung und die Lösung der genannten Probleme ebnen sollten. Doch weder Poro­schenko noch Selen­skyj – mitt­ler­weile geben sie es offen zu – wollten die Verein­ba­rungen umsetzen, obwohl sie vom UN-Sicher­heitsrat gebil­ligt worden waren. Der Westen hat entweder geschwiegen oder sich still­schwei­gend darüber gefreut, wie gut sie Russ­land durch die Schaf­fung eines Anti-Russ­lands direkt an seinen Grenzen schi­ka­nieren ließen.

Schließ­lich sind sie zur Erkenntnis gekommen, dass unsere Appelle all die Jahre keine leeren Bitten und Forde­rungen waren, sondern die grund­le­genden Inter­essen unseres Landes wider­spie­gelten. Sie können sehen, wie hyste­risch sie jetzt reagieren und ihre eigene Unfä­hig­keit bzw. ihren – offen gesagt – Unwillen, auf diesem Planeten auf Grund­lage der Gleich­be­rech­ti­gung, des gegen­sei­tigen Respekts gemäß den Grund­sätzen des Völker­rechts und der UN-Charta, in welcher die Gleich­heit souve­räner Staaten veran­kert ist, zu verkehren mit ihrer beispiel­losen Aggres­sion und Wut zu kompen­sieren versuchen.

Dabei geht es keines­wegs um die Inter­essen des ukrai­ni­schen Volkes, sondern den Erhalt Russ­lands als unab­hän­gige Kraft auf der Welt­bühne nicht zuzu­lassen. Es gab schon erns­tere Phasen in unserer Geschichte, in denen unsere Rolle und unser Platz auf der inter­na­tio­nalen Bühne andere „Partner“, wie wir sie ironisch nennen, dazu veran­lasst hatte, Russ­land schwä­chen zu wollen. Ich bin davon über­zeugt, dass ihnen das auch jetzt nicht gelingen wird, so wie es auch in der Vergan­gen­heit noch niemandem gelungen ist.

Unsere Schluss­fol­ge­rungen betreffen die inter­na­tio­nale [Sicherheits-]Architektur aus der Sicht unserer west­li­chen „Nach­barn“, die versu­chen sich offen gegen das Völker­recht zu stellen und ihre eigenen Regeln einzu­führen. Der Westen sagt es ganz offen, dass die Welt­ord­nung auf ihren „Regeln“ zu beruhen hätte, wozu auch die Isolie­rung Russ­lands gehöre. Es wird ihnen nicht gelingen, uns zu isolieren – das haben sie bereits erkannt. In euro­päi­schen Haupt­städte wird bereits zuge­geben, dass die Sank­tionen nicht funk­tio­nierten und viel­mehr ihren Urhe­bern scha­deten: Infla­tion, stei­gende Preise, insbe­son­dere für Energie. Darunter leidet vor allem die Bevöl­ke­rung, die Mittel­schicht, aber ihre russo­phobe Beses­sen­heit mani­fes­tiert sich selbst unter solchen Bedingungen.

Ich habe die Äuße­rungen der deut­schen Außen­mi­nis­terin Anna­lena Baer­bock vom 31. August dieses Jahres gelesen, wonach die deut­schen Bürger darunter schon litten, aber sie sich damit abzu­finden hätten, weil Deutsch­land die Ukraine unter­stützen wollte, was immer dazu benö­tigt würde. Es ist ein unglaub­li­ches Einge­ständnis, das sich nahtlos in das Gerede über die Notwen­dig­keit vorge­zo­gener Wahlen in einer Reihe euro­päi­scher Staaten einreiht. Die west­liche Elite lässt sich von der Logik von gestern leiten und propa­giert eine unipo­lare Welt, die im Wider­spruch zu den objek­tiven Tendenzen der histo­ri­schen Entwick­lung steht, die es gebieten, das Entstehen und die tatsäch­liche Stär­kung neuer Zentren wirt­schaft­li­cher Entwick­lung, finan­zi­eller Macht und poli­ti­schen Einflusses anzu­er­kennen. Diese Zentren haben ein Gefühl für Würde und sind bestrebt, ihre legi­timen Inter­essen zu vertei­digen. Sie respek­tieren die Tradi­tionen ihrer jahr­hun­derte- und jahr­tau­sen­de­alten Zivi­li­sa­tionen und wollen nicht über den einen Kamm vermeint­lich libe­raler Werte geschert werden.

Die EU hingegen über­legt, wie es sein sollte bzw. ob die einzelnen Länder das Recht zu einer Entwick­lung hätten, wie man es unter Berück­sich­ti­gung ihrer Geschichte und Tradi­tionen für notwendig hielt. Aus dem Brüs­seler „Zentrum“ und aus den Haupt­städten, die „alles und jedes“ verein­heit­li­chen wollen, wird diesen Staaten jedoch unter Strafe ange­droht, dass sie ein solches Recht nicht hätten. Der Vize­kanzler und Wirt­schafts­mi­nister der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, R. Habeck, sagte kürz­lich, dass es notwendig wäre, natio­nalen Inter­essen in Europa abzu­schaffen – dies ist bezeichnend.

Die Länder auf dem eura­si­schen Konti­nent, in Latein­ame­rika und Afrika sehen das alles. Sie sind mit solchen Aussichten ganz und gar nicht einver­standen und begannen rasch zu verstehen, was die „Regeln“ bedeuten, die der Westen „allen und allem“ aufzwingen möchte. Sie jedoch wollen zu ihren Wurzeln zurück­kehren, zur souve­ränen Gleich­heit der Staaten (gemäß UN-Charta), die Achtung vor zivi­li­sa­to­ri­scher Viel­falt in einer modernen Welt samt ethnisch-konfes­sio­neller Viel­falt voraus­setzt. Wir sind nicht allein, auch wenn sie versu­chen, uns zu isolieren. Solche Versuche sind zum Schei­tern verur­teilt. Entgegen allem skru­pel­losen Druck, Erpres­sungen, Drohungen inklu­sive persön­li­chen Warnungen von Poli­ti­kern haben sich 80% aller Staaten den west­li­chen Sank­tionen nicht angeschlossen.

Wir arbeiten weiterhin aktiv im Rahmen der Vereinten Nationen und in der Gruppe von Freunden zur Vertei­di­gung der UN-Charta. Die Zahl ihrer Mitglieder wächst: Sie hat bereits zwei Dutzend Mitglieder.

Wir arbeiten im post­so­wje­ti­schen Raum im Rahmen der OVKS, der EAEU, der GUS, im eura­si­schen Kontext in der viel­ver­spre­chenden neuen Verei­ni­gung der Shang­haier Orga­ni­sa­tion für Zusam­men­ar­beit (SCO) und auf globaler Ebene – mit BRICS, welche, wie die SCO, immer mehr Länder mit Anträgen auf Partner- oder Beob­ach­ter­status anziehen. Es gibt immer mehr Anträge auf Voll­mit­glied­schaft in diesen Orga­ni­sa­tionen. Die Zukunft liegt in diesen neuen Zusam­men­schlüssen und in der Arbeit in diesen und anderen Formaten, um die diskri­mi­nie­renden Ansätze des Westens im Rahmen der Finanz- und Wirt­schafts­ar­chi­tektur zu überwinden.

Immer mehr Länder ergreifen prak­ti­sche Maßnahmen, um ihre Abhän­gig­keit vom inter­na­tio­nalen Währungs- und Finanz­system in der Form, wie es der Westen aufge­baut und unter seine Kontrolle gebracht hat, zu verrin­gern und ihre Abhän­gig­keit vom Dollar, von west­li­chen Tech­no­lo­gien und kontrol­lierten Liefer­ketten zu redu­zieren. Diese Staaten schaffen ihre eigenen Mecha­nismen, die keinem Diktat und Miss­brauch unter­worfen sind. Diese Länder­gruppe will, dass Demo­kratie keine leeres Wort bleibt, kein Instru­ment, das der Westen als Slogan gebraucht, um sich in die inneren Ange­le­gen­heiten souve­räner Staaten einzu­mi­schen und seine eigenen Vorstel­lungen durch­zu­setzen, wie ein Staat sein Leben zu orga­ni­sieren hätte. Immer mehr Länder sehnen sich nach einer Demo­kratie auf der inter­na­tio­nalen Bühne, in der alle gleich sind und sich gegen­seitig respektieren.

Der Westen lehnt es kate­go­risch ab, über die Demo­kra­ti­sie­rung der inter­na­tio­nalen Bezie­hungen zu disku­tieren, doch vertritt sein Konzept einer „regel­ba­sierten Ordnung“, die auf Regeln des Westens beruht.

In dieser Situa­tion bleiben die Ziele der russi­schen Außen­po­litik unver­än­dert: die natio­nale Sicher­heit Russ­lands zuver­lässig zu gewähr­leisten, die güns­tigsten Bedin­gungen für die sozio­öko­no­mi­sche Entwick­lung zu schaffen und das Wohl­ergehen der Bürger zu verbes­sern. Unter den gegen­wär­tigen Umständen ist die Stär­kung der Souve­rä­nität der Russi­schen Föde­ra­tion von beson­derer Bedeu­tung. Es gilt, unsere grund­le­genden Inter­essen auf der inter­na­tio­nalen Bühne, die Ehre und Würde unserer Bürger und Lands­leute in anderen Ländern zu verteidigen.

Es wird viel über Patrio­tismus disku­tiert, darüber, was dieser ist und wie er sich unter modernen Bedin­gungen mani­fes­tieren sollte. Ich denke, dass Patrio­tismus in jeder Epoche die Fähig­keit eines Menschen bedeutet, sein Land zu kennen, es zu lieben und nach seinen Inter­essen zu leben. Ich bin davon über­zeugt, dass je mehr Studenten und Schüler sich für Geschichte inter­es­sieren, für die großen Ereig­nisse in unserer Entwick­lung, die den zukünf­tigen Weg Russ­lands bestimmen, desto mehr Patrio­tismus werden wir sehen. Nicht Hurra-Patrio­tismus, der künst­lich ist, sondern ein Patrio­tismus, der ganz natür­lich entsteht, weil die Person die Annalen der Geschichte seines Landes kennt.

Ich weiß, dass im Saal auslän­di­sche Studenten anwe­send sind. Ich heiße sie will­kommen. Ich möchte betonen, dass einige Länder versu­chen, uns zu isolieren oder uns zu zwingen, uns zu isolieren. Ich habe bereits die Gründe erläu­tert, warum eine Isolie­rung nicht möglich ist. Auch wir werden uns nicht isolieren. Es ist der Westen, der sich abschotten wird, der Tage und Nächte damit verbringt, darüber zu disku­tieren, wem er ein Schengen-Visum geben soll, wie oft er am Eingang zur Schengen-Zone fragen muss, für wen der Reisende ist (rot oder weiß), wem die Krim gehört. Sie wollen schon dreimal fragen, damit man sicher ist, dass man keinen Fehler macht. Das ist lächer­lich. Im Großen und Ganzen sind solche Leute erbärmlich!

Wir sollten uns nicht selbst isolieren. Wir haben noch nicht darüber gespro­chen, aber ich glaube, dass wir uns als Antwort auf die „Schengen-Mauern“, die sie zu errichten versu­chen, nicht abschotten müssen und die Bürger der euro­päi­schen Länder damit kollektiv bestrafen. Dafür haben wir [nur] speziell „Ausge­suchte“ auf unseren Sanktionslisten.

Der öster­rei­chi­sche Außen­mi­nister A. Schal­len­berg sagte kürz­lich, dass der Westen nicht in der Lage sein werde, 140 Millionen Menschen vor Gericht zu stellen. Der Minister sagte diese Worte zu einer Zeit, in der der Main­stream in Europa darauf abzielte, alle Bürger der Russi­schen Föde­ra­tion zu bestrafen (von denen es übri­gens etwas mehr gibt). Ich bin der Meinung, dass wir nicht denselben Weg einschlagen und auf Dumm­heit mit Dumm­heit antworten sollten. Gleich­zeitig hat niemand den Grund­satz der Gegen­sei­tig­keit aufge­hoben, der gezielt gegen die Orga­ni­sa­toren und Verur­sa­cher solcher anti­rus­si­schen Sank­tionen ange­wandt werden sollte.

Am MGIMO [Moskauer Institut für Inter­na­tio­nale Bezie­hungen] und an anderen Univer­si­täten gibt es viele auslän­di­sche Studenten. Dies ist eine groß­ar­tige Gele­gen­heit, die Russi­sche Föde­ra­tion kennen zu lernen. Auch für unsere Bürger ist es wichtig, ihr Land und seine gren­zen­lose Geschichte kennen zu lernen. Es gibt immer etwas Neues zu entde­cken, und für Ausländer ist es umso inter­es­santer: Je besser man uns kennt, desto größer sind die Aussichten für die Entwick­lung der Welt auf dem rich­tigen Weg, nämlich auf der Suche nach Harmonie, nach einem Inter­es­sen­aus­gleich, anstatt alle anderen unter das Kommando eines Ober-[Dienst]-Herren zu stellen.

Wir sind für Gleich­heit und Freund­schaft im weitesten Sinne des Wortes. Wir möchten, dass Sie uns und unser Leben besser kennen lernen. Dies wird zur Entwick­lung der Bezie­hungen zwischen unseren Ländern beitragen. Ich bin mir sicher, dass meine Worte von vielen in Europa als Versuch, jemanden anzu­werben, inter­pre­tiert werden. Ich bin sicher, dass alle normalen Menschen, und diese sind in der Mehr­heit, sehr wohl verstehen, wovon wir sprechen.

Noch einmal: Ich wünsche Ihnen einen glück­li­chen Feiertag!

Frage: Ange­sichts der stän­digen Provo­ka­tionen durch die ukrai­ni­schen Streit­kräfte, die das Kern­kraft­werk Sapo­rischschja beschießen und die Welt an den Rand einer von Menschen verur­sachten Kata­strophe bringen, kämpfen russi­sche Diplo­maten gegen diese Desin­for­ma­tionen des Westens, die unser Land für solchen Beschuss beschul­digen. Die IAEO wird in diesen Tagen das Gelände des Kern­kraft­werks besu­chen. Die ukrai­ni­schen Streit­kräfte hören nicht auf, das Kraft­werk zu beschießen, und heute Morgen haben sie versucht, Lande­gruppen in Ener­godar abzu­setzen. Was erwartet Russ­land von dem Besuch der IAEO im KKW Sapo­rischschja? Können wir auf die Objek­ti­vität dieser Mission hoffen?

Sergey Lawrow: Wir erwarten Objek­ti­vität, obwohl alle anderen, die auf die eine oder andere Weise an diesem Besuch, seiner Vorbe­rei­tung und den Versu­chen, ihn zu behin­dern, betei­ligt sind, eindeutig nicht wollen, dass die IAEO-Mission zu unpar­tei­ischen Schluss­fol­ge­rungen kommt.

Ich erin­nere daran, dass sich die IAEO mit einer ganz normalen Bitte an uns wandte, nachdem russi­sche Streit­kräfte dieses Gebiet über­nommen hatten. Die Agentur ist gemäß einschlä­gigen inter­na­tio­nalen Vorschriften verpflichtet, regel­mäßig den Sicher­heits­status von Kern­kraft­werken zu über­prüfen, zu denen auch das KKW Sapo­rischschja gehört. Als wahre Fach­leute, die ihre Arbeit nicht poli­ti­sieren, sagten die IAEO-Experten: Da die russi­schen Streit­kräfte jetzt die Kontrolle über das Kraft­werk hätten, wollten sie gerne den vorge­schrie­benen regel­mä­ßigen Inspek­tionen, wie vorge­sehen, zustimmen.

Wir haben uns im Mai dieses Jahres auf alles Notwen­dige geei­nigt und am 3. Juni dieses Jahres war alles bereit: Wir boten den IAEO-Spezia­listen an, einen Termin zu wählen, um zu kommen. Doch, nur einen Tag später wurden wir infor­miert, dass das UN-Sekre­ta­riat, vertreten durch die Sicher­heits­ab­tei­lung, der Agentur den Besuch unter­sagt hätte. Es wurden andere Worte verwendet, aber der Besuch wurde gerade wegen der Haltung des UN-Sekre­ta­riats zum Schei­tern gebracht. Wir haben empfohlen, dass sie das unter­ein­ander ausma­chen sollten, nachdem alles, was von uns verlangt wurde, getan worden war. Dann kam es zu einer Unterbrechung.

Im Juli dieses Jahres begannen die Ukrainer ihre Kampagne, um das Gebiet des KKW Sapo­rischschja aktiv zu beschießen. Zu dem Zeit­punkt begannen wir zu verlangen, dass die Mission so schnell wie möglich einträfe und das UN-Sekre­ta­riat, welches dies Anfang Juni dieses Jahres unter­bunden hatte, seiner Verant­wor­tung gerecht werde. Darauf haben diese ganzen Diskus­sionen begonnen. Herr Wolo­dymyr Selen­skyj leug­nete, dass die Ukraine die Station beschieße, sagte aber, dass, falls die Mission verein­bart wäre, es von Seiten der Ukraine keine Hinder­nisse für eine sichere Durch­füh­rung der Arbeiten geben würde. Ich halte es für ein „Schuld­ein­ge­ständnis“, wenn er vorgibt für die Sicher­heit und den Schutz des KKW bürgen zu können.

In der Folge entwi­ckelten sich die Ereig­nisse wie folgt: Es gab Gespräche darüber, auf welcher Route die Mission anreisen wollte. Jour­na­listen fragten das UN-Sekre­ta­riat, warum sie die Mission nicht zum Kraft­werk vorließen. Offi­zi­elle Vertreter des UN-Gene­ral­se­kre­ta­riats erklärten, die IAEO sei eine unab­hän­gige Insti­tu­tion und entscheide selbst. Wir waren natür­lich schon etwas „verwirrt“ und wandten uns an Herrn Rafael Grossi [Gene­ral­di­rektor, Inter­na­tio­nale Atom­energie-Orga­ni­sa­tion] und sagten ihm, dass laut dem Vertreter des UN-Sekre­ta­riats der Gene­ral­di­rektor der IAEO selbst entscheiden könne. Er sagte, dass dies nicht stimme – doch, die [UN] Abtei­lung darüber entscheide.

Ich über­treibe nicht, sondern gebe nur den offi­zi­ellen Schrift­ver­kehr wieder!

Am Ende wurde alles verein­bart. Der russi­sche Präsi­dent Wladimir Putin sagte nach Kontakten mit seinen west­li­chen Kollegen, dass die Sicher­heit für uns höchste Prio­rität hätte. Wenn sie es wünschten, könnten sie über das von der Ukraine kontrol­lierte Gebiet kommen. Wir stimmten allen Details zu. Doch im aller­letzten Moment gab es eine weitere „Über­ra­schung“: Herr Rafael Grossi rief an, entschul­digte sich und sagte, er könne nicht wie verein­bart kommen, sondern würde später kommen, weil er drin­gend nach Kiew „abbe­rufen“ worden wäre. Das war im Zuge der Erör­te­rung der Para­meter dieser Mission nie ein Diskus­si­ons­punkt gewesen.

Wir waren davon ausge­gangen, dass Herr Grossi nach Abschluss der Arbeiten zur Mission nach Kiew reisen und dann mit unseren Vertre­tern über die Ergeb­nisse seiner Besich­ti­gung spre­chen würde. Anschlie­ßend würde er der IAEO und dem Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen Bericht erstatten. Diese ukrai­ni­schen frei-impro­vi­sierten Tricks im Stil, wie „wir machen, was immer uns gefällt“ und „was auch immer verein­bart wurde, Herr Grossi, kommen Sie einfach nach Kiew“ erin­nert an napo­leo­ni­sche „Spiele“, doch wirkt erbärm­lich. Der Versuch, komö­di­en­haften Insze­nie­rungs­ef­fekten an Stelle echter ernst­hafter Arbeit zur nuklearen Sicher­heit nach­zu­gehen, ist in diesem Fall absolut unverantwortlich!

Die Mission ist heute am Kraft­werk. Sie haben völlig Recht, es gab Berichte unseres Mili­tärs über die Landung von zwei Sabo­ta­ge­gruppen. Sie wurden neutra­li­siert. Ich glaube, das war ein hoher Preis dafür, damit die Welt­ge­mein­schaft die Wahr­heit erfährt. Aber offenbar will die Ukraine das auf diese Weise errei­chen und zeigen, was sie reprä­sen­tiert. Ich hoffe, dass dies nicht zu einer Kata­strophe führen wird. Wir tun alles, was wir können, um sicher­zu­stellen, dass das Kraft­werk sicher arbeitet und die Mission alle ihre Pläne dort reali­sieren kann. Sie sagen zwar, dass sie kein Mandat hätten, die Verant­wort­li­chen zu ermit­teln, aber man wird ihnen alle Spuren zeigen, die der ukrai­ni­sche Bomben- und Grana­ten­be­schuss hinter­lassen hat. Wir bestanden darauf, dass Ballistik-Experten in der Mission vertreten wären. Ich hoffe, wir werden etwas erfahren. Oder besser gesagt, wir wissen [bereits] alles. Ich hoffe zugleich, dass die Welt­ge­mein­schaft eben­falls eine solche Gele­gen­heit erhält.

Frage: Sehen Sie trotz des offen­kundig für die bila­te­ralen Bezie­hungen schäd­li­chen Verhal­tens der euro­päi­schen Länder – insbe­son­dere die massen­haften Auswei­sungen unserer Diplo­maten, die unge­recht­fer­tigten Sank­tionen, das Auslö­schen unserer gemein­samen Geschichte – die Voraus­set­zungen für eine künf­tige Norma­li­sie­rung der Bezie­hungen? Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

Sergey Lawrow: «In welchem Zeit­rahmen könnten wir norma­li­sieren?» – das trifft den Kern in der Tat!

Wir haben unsere Schluss­fol­ge­rungen aus den vielen Jahren des Kalten Krieges gezogen. Damals haben wir in unseren Bezie­hungen zum Westen auf jede erdenk­liche Weise versucht, die Slogans, die uns die west­li­chen Länder auf dem Höhe­punkt der Pere­stroika und nach dem Ende der Sowjet­union ange­boten haben, in die Praxis umzu­setzen: univer­selle Werte, ein gemein­samer wirt­schaft­li­cher und huma­ni­tärer Raum und Sicher­heits­raum vom Atlantik bis zum Pazifik, Unteil­bar­keit der Sicher­heit, wonach kein Land seine Sicher­heit auf Kosten der Sicher­heit eines anderen erhöhen und kein Mili­tär­bündnis in Europa domi­nieren sollte.

Wir haben versucht, alles auf eine faire Art und Weise zu tun. Wir haben ein beispiellos umfang­rei­ches Netz von Koope­ra­ti­ons­me­cha­nismen mit der Euro­päi­schen Union entwi­ckelt, zusam­men­ge­stellt und in die Praxis umge­setzt: zweimal jähr­lich statt­fin­dende Gipfel­treffen, ein jähr­li­ches Treffen zwischen Mitglie­dern der Regie­rung der Russi­schen Föde­ra­tion und Mitglie­dern der Euro­päi­schen Kommis­sion, vier gemein­same Räume, für die vier Fahr­pläne ange­nommen wurden. Sie wurden mit dem Ziel umge­setzt, im Großen und Ganzen gemein­same euro­päi­sche Normen in unser tägli­ches Leben einzu­führen, Verein­ba­rungen über zwanzig sekto­rale Dialoge – von den Menschen­rechten bis zur Umwelt, Wirt­schaft, Tech­no­logie, Raum­fahrt. Es ist unmög­lich, alles aufzuzählen…

Einen geson­derten Platz nahm der Dialog über die Visa­frei­heit ein, der zur Unter­zeich­nung des Abkom­mens über Visa­er­leich­te­rungen – das die EU jetzt wieder aussetzen oder aufheben möchte – im Jahr 2006 führte. Der Dialog wurde mit dem Ziel fort­ge­setzt, zu einer voll­ständig visa­freien Rege­lung zu kommen. Im Jahr 2013 war alles bereit, bevor die Ereig­nisse in der Ukraine dem Westen als Vorwand dienten, alle unsere Inter­ak­ti­ons­ka­näle zu unter­bre­chen. Doch 2013, als alles für die Unter­zeich­nung einer visa­freien Rege­lung zwischen Russ­land und der EU bereit war, wurde diese aus offen darge­legten poli­ti­schen Gründen von einer Gruppe von Ländern, darunter den balti­schen Staaten und Polen, blockiert. Die Motive, die sie bei der Prüfung dieser Frage in der EU „vorbrachten“, lauteten wie folgt: Ja, aus tech­ni­scher Sicht wären biome­tri­sche Visa und Rück­über­nahmen in Betracht gezogen. Wir hatten Rück­über­nah­me­ab­kommen mit allen EU-Ländern – als Vorbe­rei­tung für diese visa­freie Rege­lung. Aber aus poli­ti­schen Gründen wollten die balti­schen Staaten nicht, dass Russ­land die Visa­frei­heit vor der Ukraine, Geor­gien und Molda­wien erhielte. So viel zu Werten, Gleich­heit, Unpar­tei­lich­keit und mehr.

Dennoch benö­tigten wir einige Zeit unsere Lehren daraus zu ziehen. Jedes Mal, wenn unsere Partner sich nicht ganz korrekt verhielten, gingen wir davon aus, dass wir mit ihnen „reden“ müssten, dass sie ihre Schlüsse ziehen würden und dass wir uns in Rich­tung, der von ihnen vorge­tra­genen und von uns gebil­ligten «Slogans» bewegen würden. Das hat jedoch niemals geklappt!

Jetzt haben wir keine Illu­sionen mehr: Die Unfä­hig­keit der Euro­päer wie auch der Ameri­kaner ist offen­sicht­lich. Sie haben alle Kanäle, die ich gerade erwähnt habe, alle Formen der Zusam­men­ar­beit „abge­schnitten.“ Wir können uns nicht mehr auf sie verlassen, ange­sichts dessen, was sie in Bezug auf Sank­tionen tun. Wir können uns nicht mehr auf sie verlassen, wenn es um Schlüs­sel­tech­no­lo­gien für unsere Sicher­heit, für die Ernäh­rungs­si­cher­heit oder für eine beschleu­nigte Entwick­lung unserer Gesell­schaft geht.

Wir brechen die Kontakte nicht völlig ab, aber wir werden dies ausschließ­lich auf einer für beide Seiten vorteil­haften Basis tun. Gegen­wärtig geschieht dies auf einem Minimum mit jenen Mitteln, die noch verfügbar blieben.

In Zukunft muss erst einmal diese „Hysterie“ an der west­li­chen Flanke abklingen. Davon sind sie noch meilen­weit entfernt. Obschon erste vernünf­tige Stimmen hinter dem Chor der Russo-Phobiker vernehmbar sind.

Doch, nachdem sie sich besännen, was ich hoffe, werden wir bereit sein, auf das zu hören, was sie uns anbieten wollten. Aber unser Leben, unsere Politik in der Hoff­nung aufzu­bauen, dass in ein oder zwei oder drei oder sogar vier oder fünf Jahren alles wieder in Ordnung wäre, so dass wir keine alter­na­tiven Formate für die Lösung der Probleme unserer Entwick­lung zu schaffen hätten – das ist eine wenig aussichts­reiche illu­so­ri­sche Posi­tion. Alles hängt von unseren „Part­nern“ ab. Sollten sie bereit sein, werden wir bereit sein, Ihnen zuzuhören.

Zum jetzigen Zeit­punkt kann ich nichts anderes sagen!

Teil II folgt am 3.8.2023

***

Über­set­zung aus dem Russi­schen: UNSER-MITTELEUROPA

 


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12 Kommentare

  1. Eine Bitte an die Univer­si­täten in der Russi­schen Föderation:
    Zeichnen Sie Herrn Prof. Dr. Sucharit Bhakdi mit Ehrungen aus!
    Er ist ein groß­ar­tiger Menschen­freund und Wissenschaftlicher,
    weshalb er vom BRD-System poli­tisch verfolgt wird.

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  2. Imma­nuel Kant kämpfte gegen den Dogma­tismus, der sich auch in der Wissen­schaft einge­nistet hatte. Im 19. Jahr­hun­dert blühte eine neue, ich-starke, forschungs­starke und schöp­fe­ri­sche Wissen­schaft, beson­ders in Deutsch­land. Und nun? Mate­ria­lis­ti­scher Dogma­tismus, Wahr­heits­verbot, Tyrannei gegen die klügsten Profes­soren. Möge es in Russ­land besser sein!
    Aufklä­rung heißt, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. (Kant)

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  3. Die EU degra­diert sich zum neuen ameri­ka­ni­schen Hinterhof oder läßt sich degradieren.
    Um uns alle zu befreien, muß als erstes Deutsch­land wieder frei werden. Und das wird es erst, wenn die Insel­affen und die Frosch­fresser das einsehen. Ansonsten bleiben auch sie in der Falle.

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  4. Russ­land hatte vor den Sank­tionen etwa die ökono­mi­sche Schlag­kraft von Südkorea oder Italien. Russ­land muss inzwi­schen seine Haupt­ein­nah­me­pro­dukte Gas und Öl an die BRICS-Staaten verscher­beln. Die moderne Waffen­technik in den russi­schen Systemen kommt über­wie­gend aus den Nato-Staaten. Eine neue Mobi­li­sie­rungs­welle meidet man, um zu verhin­dern, dass der Krieg bei der Bevöl­ke­rung auch als solcher ankommt. Und jetzt muss man auch noch im Iran und in Nord­korea nach Waffen und Muni­tion betteln.
    Alleine kann die Ukraine nicht gegen Russ­land bestehen. Aber wenn der Westen seine ganze mili­tä­ri­sche und ökono­mi­sche Schlag­kraft in die Waag­schale wirft, dann kann Russ­land da nicht mal ansatz­weise mithalten.

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    • Die moderne Waffen­technik in den russi­schen Systemen kommt über­wie­gend aus den Nato-Staaten.
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      Selten so jelacht … Wieviel Kohle gibt’s denn vom Mecki Halden­wang für die Unter­wan­de­rung bürger­licgher Foren mit noch klar denke­neden Menschen ?
      Dieses Land ist, mit solchen Leuten aus dem Westen wie Ihnen, so etwas von verkommen, die ehema­lige DDR sollte sich nun endlich vom Werte­westen wieder abspalten, denn diie normal denkenden Bürger leben sowieso da, sieht man ja daß die AfD dort immer stärker wird.
      Und die vernünftig denkenden Leute aus dem Westen sind dann auch dort in seinen land­schaft­lich sehr schönen Gegenden sehr willkommen !

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    • Some time ago, the German economy was the main loco­mo­tive due to cheap energy resources from Russia.
      Now the EU count­ries are eagerly joining this mili­tary scam in the hope of sharing a piece of the Russian pie.

      I don’t know what’s going on and what’s behind it. Maybe the task of this scam is the destruc­tion of Russians and Ukrainians.
      Then we wish them to rest in peace, because they did not have the mind to resist this.

      Maybe in the near future Russia will surrender and the Russians will be driven into the reser­va­tions like Indians, then the Muslims will finish them off with knives and settle in their place. These Muslims from Central Asia will have no claims to natural rent.

      Or maybe all this is done on purpose so that the EU will receive a blow of retri­bu­tion for parti­ci­pa­ting in this scam.

      Nobody knows what will happen. And we have no leverage to influence it.

    • Solch hoch­tra­benden Worte höre ich immer wieder. Mein Fazit daraus ist ganz einfach, Menschen die so etwas von sich geben waren nie beim Militär. Denn sonst wüssten sie, das das Wich­tigste an einem Krieg immer die Moti­va­tion in der Truppe ist.
      Ich war 1970–71 beim Bundes­grenz­schutz. Und schon da haben wir erkannt, das alles was von der Politik kam nur gequirlte Scheiße war. In meinem Zug haben wir uns abge­spro­chen, kommt der Russe, dann Uniform au und ab nach Dänemark!

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  5. Tja – er hat mal wieder völlig r.cht m. A. n.. – Schlimm ist, dass die vernünf­tigen ehrli­chen anstän­digen wissenden echten Teut­schen und anderen Kern­eu­ro­päe­rinnen mit in dieser m. A. n. VSA-SAT-ANNUIT-und-Vasällen-Hoelle sitzen und viel­fach nicht mehr die Kraft, Gesund­heit und sons­tigen erfor­der­li­chen Mitteln haben, sich aus dieser aus dem Staub zu machen.

    Es gibt m. A. n. nur eine Lösung und die kennen hier fast alle Aufrichtigen.

    Meiner Ansicht nach.

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