Zeit, über Huxit zu sprechen

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Von Tamás Fricz

Ich weiß, dass es ein Tabu ist, aber jemand muss das Wort aufschreiben, und zwar zum ersten Mal nicht unbe­dingt zur Abschre­ckung: huxit – Ungarns frei­wil­liger, souve­räner Austritt aus der EU (wie der Brexit). Ist ein Huxit wirk­lich notwendig, insbe­son­dere nach der beispiel­losen und beispiellos koor­di­nierten Serie von Angriffen auf das unga­ri­sche Kinder­schutz­ge­setz durch die EU und den Westen?

Das ist nicht das, was ich sage. Ich will damit sagen, dass es im Juli 2021 an der Zeit ist, ernst­haft über einen mögli­chen Austritt aus einem Staa­ten­bündnis nach­zu­denken, das aus tausend Wunden blutet, Anzei­chen eines Impe­riums aufweist und die Mitglied­staaten Ost- und Mittel­eu­ropas mit spek­ta­ku­lärer Herab­las­sung und Arro­ganz behan­delt. Denn wir haben die Tren­nungs­linie erreicht: Die globa­lis­ti­sche Finanz­elite und die von ihr kontrol­lierten EU-Insti­tu­tionen – die Kommis­sion, das Parla­ment, der Gerichtshof und in gewissem Maße auch der Euro­päi­sche Rat – sind fest entschlossen, uns eine Lektion zu erteilen. Und nicht nur das: um uns zu bestrafen. Aber mehr als das: uns unmög­lich zu machen, wenn wir nicht die Schritte unter­nehmen, die sie vorschreiben. Und das ulti­ma­tive Instru­ment ist natür­lich die Behe­bung von Geld. Das ist es, was eine der Vize­prä­si­den­tinnen der Kommis­sion, Kata­rina Barley, sagte (natür­lich an der Seite von George Soros und seinen Anhän­gern), nämlich, dass abtrün­nige Länder wie Ungarn und Polen ausge­hun­gert werden sollten, indem man ihnen die finan­zi­elle Unter­stüt­zung entzieht.

Und in der Tat, die Hälfte davon ist kein Witz.

Was spricht für und was gegen einen Verbleib im Land? Ich denke, es lohnt sich, dies unter poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen, kultu­rellen und mili­tä­ri­schen Gesichts­punkten zu unter­su­chen. Aus poli­ti­scher Sicht spricht für den Verbleib in der EU, dass die Mitglied­schaft in der EU jedem unga­ri­schen Bürger das gute Gefühl geben kann, Teil eines entwi­ckelten, demo­kra­ti­schen Westens zu sein, der auf einem Bündnis freier Nationen basiert, was wir immer gewollt haben und was wir nach vierzig Jahren Kommu­nismus endlich erreicht haben. Und die Zuge­hö­rig­keit zu einer der fort­schritt­lichsten Gemein­schaften der Welt ist eine beson­dere Erfah­rung, auf die man nach fünf­zehn Jahren nur aus sehr starken und zwin­genden Gründen verzichten kann.

Die Frage ist: Gibt es im Moment einen so starken und zwin­genden Grund?

Meine Antwort: Ja. Es ist die Tatsache, dass sich die Prio­ri­täten in dem begehrten Staa­ten­bündnis radikal verän­dert haben und die globa­lis­tisch-libe­ralen Eliten die Union in etwas ganz anderes verwan­deln wollen, als sie es bisher war. Und genau das ist jetzt der Fall: Wir sind in eine Gemein­schaft freier, souve­räner Länder einge­treten – zumin­dest stellen wir uns das vor -, aber der Aufbau eines impe­rialen Europas, einer super­fö­de­ralen Verei­nigten Staaten von Europa, die den Natio­nal­staaten unter­ge­ordnet sind, ist vor unseren Augen in vollem Gange. Unser wich­tigstes Ziel und unser größter Wunsch war es, nach der Herr­schaft der Sowjet­union eine souve­räne und unab­hän­gige Nation zu werden. Dies wird nun grund­le­gend in Frage gestellt. Wenn sie uns wieder vorschreiben wollen, was wir zu tun haben und wie wir es zu tun haben, dann wird unsere Mitglied­schaft in der EU bedeu­tungslos sein.

Darüber hinaus hat gerade eine einjäh­rige Reihe von Konfe­renzen und Debatten über die Zukunft der Union begonnen, und es ist von Anfang an klar, dass die Main­stream-Kreise die Verwirk­li­chung dieses Ziels in den Mittel­punkt der Debatte stellen, ganz zu schweigen von den scho­ckie­renden einge­bauten Garan­tien, dass die EU-Insti­tu­tionen, die die Debatte leiten, die Debatte mode­rieren und Meinungen, die aus ihrer Sicht nicht poli­tisch korrekt sind, einfach igno­rieren können. Es ist ein beun­ru­hi­gendes und deut­li­ches Signal, dass einer der Leiter des Gremiums, das die Debatte leitet, Guy Verhof­stadt ist, ein über­zeugter, blinder Globa­list, der die Regie­rung Orbán hasst, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die so genannte Spinelli-Gruppe (benannt nach einem italie­ni­schen kommu­nis­ti­schen Poli­tiker aus der Wala­chei, der den schwarzen Gürtel trug) im Zusam­men­hang mit der Debatte gegründet wurde, mit dem Ziel, die Verei­nigten Staaten von Europa zu schaffen.

Natür­lich sollten wir uns mit aller Kraft an der Debatte betei­ligen, aber wenn das Ergebnis für uns unan­nehmbar ist, kann es nicht im Inter­esse Ungarns sein, sich erneut den impe­rialen und globa­lis­ti­schen Ambi­tionen zu unter­werfen. Aus wirt­schaft­li­cher Sicht spricht für einen Verbleib, dass wir Zugang zu spezi­fi­schen Mitteln aus den Beiträgen der Mitglied­staaten haben, die sich derzeit auf 2 500 Milli­arden Euro für den Wieder­aufbau belaufen. (Das ist es, was sie uns wegnehmen wollen – vorerst nur das.) Experten haben jedoch schon hundertmal geschrieben und gesagt, von Imre Boros über Károly Lóránt und Csaba Lentner bis hin zu Magda­lena Csath, dass Ungarn mit seinem Beitritt die merkan­ti­lis­ti­sche Wirt­schafts­po­litik, den Zoll­schutz und den Schutz der unga­ri­schen Unter­nehmen aufge­geben hat; wir haben den Markt geöffnet, und so haben eine nach der anderen west­liche Unter­nehmen, die viel stärker sind als unsere eigenen, EU-Ausschrei­bungen gewonnen und den Groß­teil der Gewinne in ihr eigenes Land zurück­ge­bracht. Vergessen wir auch nicht, dass die west­eu­ro­päi­schen Länder nach dem Krieg durch den Marshall­plan der USA enorme Hilfe erhielten, um ihre Wirt­schaft wieder anzu­kur­beln. In den 1970er und 1980er Jahren befanden sich die beigetre­tenen Länder – Grie­chen­land, Spanien, Portugal, Irland, Däne­mark – noch in einer wohl­ha­benden Union, aber als wir 2004 zusammen mit neun anderen Staaten beitraten, war Europa wirt­schaft­lich nicht mehr in so guter Verfas­sung, und die Hilfs­mittel reichten bei weitem nicht an die früheren Jahr­zehnte heran.

Eines der härtesten Argu­mente – abge­sehen von den oben genannten – ist wahr­schein­lich, dass sich west­liche Unter­nehmen von uns abwenden würden, wenn wir die EU verlassen, und dass unsere Handels- und Wirt­schafts­be­zie­hungen mit der EU und den Mitglied­staaten, insbe­son­dere mit dem deut­schen Giganten, erodieren würden. Und es würde der Moment kommen, an dem die großen Drei, Audi, BMW und Mercedes, ihre Fabriken hier schließen würden. Das klingt schreck­lich, aber ist es auch wahr? Würde unsere wirt­schaft­liche Situa­tion wirk­lich unmög­lich werden und müssten wir uns selbst versorgen, was unmög­lich ist?

Das glaube ich nicht. Einer­seits sind deut­sche – und briti­sche, nieder­län­di­sche, fran­zö­si­sche usw. – Unter­nehmen (ganz zu schweigen von denen in Übersee) gewinn­ori­en­tiert, und wenn sie in Ungarn Kosten sparen, werden sie nicht gegen ihre eigenen Inter­essen handeln. Ist es nicht genau das, was West­eu­ropa jetzt tut, indem es Handels­be­zie­hungen mit den verhassten Chinesen und Russen unter­hält (siehe zum Beispiel Nord Stream 2)? Viel­leicht ist Ungarn im Vergleich dazu ein bewährter und vertrauter Ort für sie, EU-Mitglied­schaft hin oder her; west­liche Unter­nehmen wissen genau, was sie erwartet, wenn sie zu uns kommen oder hier bleiben, und unsere Vorher­seh­bar­keit ist ein großer Vorteil und eine Tugend.

Auf der anderen Seite muss das Land natür­lich auf mehr Beine gestellt werden, das haben wir seit einigen Jahren erkannt und handeln entspre­chend. Wir können dies kurz anhand des Konzepts – und der Praxis – der Öffnung gegen­über dem Osten veran­schau­li­chen, wie es der unha­ri­sche Außen­mi­nister Péter Szij­jártó oft gesagt hat. Drit­tens liegt es für mich auf der Hand, dass wir, wie Norwegen und die Schweiz und nun auch Groß­bri­tan­nien, parallel zum Austritt Verhand­lungen mit der EU und den einzelnen Mitglied­staaten aufnehmen sollten. Mit anderen Worten, wir sollten einen sepa­raten Vertrag nach dem Vorbild jener Länder abschließen, für die wir jetzt wirt­schaft­lich stark genug sind und nicht mehr ein verletz­li­ches Land, das nicht auf eigenen Füßen stehen kann. Wir sind schon darüber hinaus. Was ist falsch daran, dass Norwegen nicht Mitglied der EU ist? Nichts. Mit anderen Worten: Ein hypo­the­ti­scher Austritt sollte nicht Oppo­si­tion bedeuten, sondern eine Neuver­hand­lung der neuen Bezie­hungen zur Union, die nun souverän ist. Dies ist natür­lich keine leichte Aufgabe, aber sie ist nicht unüberwindbar.

Aus mili­tä­ri­scher Sicht ist unser Rückzug irrele­vant, vor allem wenn man bedenkt, dass wir seit 1999 Mitglied der NATO sind und bleiben. Wir brau­chen keine mili­tä­ri­schen Zentren in Städten und Dörfern wie in der Schweiz einzu­richten, aber wir müssen natür­lich unsere Streit­kräfte weiter ausbauen – und das tun wir auch.

Und schließ­lich, und das ist viel­leicht das Wich­tigste, wäre aus kultu­reller, werte- und welt­an­schau­li­cher Sicht das Argu­ment für den Verbleib in der EU, dass wir angeb­lich durch grie­chi­sches und römi­sches Wissen und christ­liche Moral­vor­stel­lungen zusam­men­ge­halten werden. Aber ist das immer noch wahr? Die Antwort ist nein, leider nicht mehr. Während der Westen nun bewusst – und ich betone bewusst – mit den christ­li­chen Moral­vor­stel­lungen und Werten bricht und statt­dessen den Aufbau einer kosmo­po­li­ti­schen, gesichts­losen Welt­ge­sell­schaft anstrebt, die auf der hemmungs­losen Selbst­aus­beu­tung und Selbst­zer­stö­rung des Einzelnen beruht (siehe The Great Reset), halten wir Ungarn, Polen und Mittel­ost­eu­ro­päer an unseren jahr­tau­sen­de­alten kultu­rellen und reli­giösen Grund­lagen fest. An unserer Lebens­weise. Und das hat Vorrang vor allen anderen Überlegungen.

Ich werde hier enden, ich werde keine wsei­teren Schluss­fol­ge­rungen ziehen. Ich möchte nur anmerken, dass Viktor Orbáns Fidesz – zu Recht – die Euro­päi­sche Volks­partei erst nach einer sehr lang­samen und langen Phase des Nach­den­kens und Abwar­tens verlassen hat. Aber: Am Ende sind wir doch gegangen, ohne das Gesicht zu verlieren, und wir waren nicht dieje­nigen, die raus­ge­schmissen wurden! Das ist ein großer Unter­schied. Dies ist das rich­tige Modell. Denn wenn wir jetzt nach­geben, werden wir verlieren. Alles, wofür wir gekämpft haben, wäre dann verloren.

Der Autor ist Poli­tik­wis­sen­schaftler und Forschungs­be­rater am unga­ri­schen Zentrum für Grundrechte

 

Quelle: Magyar Nemzet


8 Kommentare

  1. DEXIT ist das Gebot der Stunde !!!
    Endlich FRIEDENSVERTRAG und SOUVERÄNITÄT für Unser Deut­sches Volk und Staat !!!!

  2. Natür­lich gibt es in Ungarn auch Sünder. aber, nachdem ich die Unga­ri­sche Verfas­sung gelesen hatte, wurde ich ein Klein wenig gelb vor Neid. Diese wurde erst 2011 beschlossen, während bei uns bereits alle Dämme­ab­ge­baut wurden. Mit Ungarn verbindet uns das Chris­tentum. Unsere gemein­samen Feinde sind die Sozia­listen und die reichen Prasser ohne Wampe.
    Liebe Nach­barn im Osten, fürchtet euch nicht. Stellt euch auf die Hinter­füße. Die Gefahren kommen aus dem Wollen zum Great Reset, der alle arm macht. Paßt auf eure intenen Feinde auf, die Gottlosen.
    Margret That­cher: Die EU ist am Ende, wenn das deut­sche Geld ausge­geben ist.
    Wenn der dt. FinMin 2 Billionen Euro Schulden tilgen können wollte (!), dann braucht er bei einer Rate von 20 Milli­arden per anno 100 Jahre. Das reiche Deutsch­land ist längst ruiniert. Die (chin.) Aufkäufer sind schon aktiv.

    • Etwas kompli­zierter ist das schon:
      Fast jeder zweite Ungar gehört gar keiner Konfes­sion an. Sind das jetzt alles „Sünder“ (was auch immer das sein soll)?
      Oder sind das alles gott­lose „Feinde in Inneren“?
      Die Zahl der so genannten „Christen“ im Land wird lang­fristig betrachtet immer geringer. So lag sie bei der Volks­zäh­lung 2011 noch bei 54 Prozent, inzwi­schen noch darunter. Die Konfes­si­ons­freien machen rund die Hälfte der Bevöl­ke­rung aus.
      Euro­päi­sche oder auch „abend­län­di­sche“ Werte müssen also wohl doch etwas mehr sein, als daß man sich gemeinsam einem Gott anbiedert.

      Jahr­hun­derte lang haben sich die dama­ligen Völker Ungarns mit denen des Westens gegen­seitig „die Köppe einge­schlagen“, und das obwohl doch alle Betei­ligten längst „Chris­tia­ni­siert“ worden waren.
      Sich in unseren gemein­samen Werten ausge­rechnet auf das gemein­same Chris­tentum berufen zu wollen, halte ich bei allem Verständnis für Verein­fa­chungen für sehr unzulänglich.

      Kultu­rell, ethnisch, histo­risch, sozio­lo­gisch, wirt­schaft­lich fände ich mit ein wenig Zeit sicher hundert andere Gründe und Ursa­chen, aus denen heraus alle erdenk­li­chen Sympa­thien gegen­über den Ungarn auf einer stabilen Basis stehen können.

      Immer wieder bin ich erstaunt, welch schlichten Gemütes ein Mensch doch sein kann.
      Wüßte ich nicht allzu gut um diesen Umstand, würden sich mir die Zehen­nägel rollen, ange­sichts eines derart redu­zierten Weltbildes.

  3. „Aussteigen und fertig!?“
    Ich glaube nicht, daß das so einfach wäre, auch wenn ich es „klamm­heim­lich“ irgendwie schon befür­worten würde.
    Die Führungs­fi­guren der Länder Mittel­eu­ropas, so sehr ich sie großen­teils schätze, haben zumeist die selbe „Schule“ durch­laufen wie ihre Amts­kol­legen im Westen des Kontinents.

    Das muß nicht bedeuten, daß sie letzten Endes genau so der Welt­agenda dienen werden wie diese, aber skep­tisch will ich dennoch bleiben.
    Die vielen Bünd­nisse, welche im Umfeld der V4 bestehen, böten sicher bereits jetzt eine gewisse Grund­lage für eine Teilung der EU. Ab wann die Struk­turen ausrei­chend Stabi­lität aufweisen, müßten die Staats-Chefs der betei­ligten Länder zu gege­bener Zeit entscheiden.
    Hoffent­lich haben sie dabei ein „Glück­li­ches Händchen“.
    Bleiben wir aber realis­tisch… Ich glaube nicht, daß es wirk­lich die „eigene Hand“ sein wird.

  4. Huxit ist ein Austritt aus der EU, wie das bekannte Wort Brexit, fertig. Kilépés, kész.
    Der Osten von der EU kann nicht weiter unter der Zwang der EU atmen, deshalb Huxit gut ist.
    Wer in Europa die Kultur, Iden­tität und Chris­tentum bekämpft oder vernach­läs­sigt, hat nichts mehr zu sagen und nichts zu bestimmen. Wir wollen keine Wasallen mehr werden, unsere Unter­drü­ckung muß ein Ende haben!!!!

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  5. „Huxit“
    Sagt bitte, was Sache ist. Und zwar ohne Verwen­dung dieser komi­schen (zustands­ver­nied­li­chenden) Kunst­worte. Der Mensch verin­ner­licht solche Begriffe sehr schnell als „dazu­ge­hörig“, und verkennt (verdrängt) die wahren Tragö­dien dahinter. 

    „Belarus“ ist genau so ein Token. Nicht, weil es dieses Wort nicht geben würde, sondern weil es von den gleich­ge­schal­teten Instru­menten des EU-Verbre­cher­staats seit kurzen verwendet wird, um poli­tisch Stim­mung zu machen. Die Verwen­dung dieses Begriffs ist, genau wie der Gender­zirkus, eine Art Erken­nungs­zei­chen, auf welcher Seite sich jemand verortet sieht.

    Ich kann nur warnen: Wer sich der Sprache der Abgrün­digen bedient wird, auch wenn das unab­sich­tich geschieht, selbst zu einem Verkünder abgrün­digen Gedankenguts.

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