Inter­view: “Im Gegen­teil, Putin ist sogar stärker geworden”

Präsident Vladimir Putin bei seiner Rede am „Tag des Sieges“ in Moskau | Bild: Screenshot YouTube

Der Poli­tik­wis­sen­schafter Alex­ander Kamkin über den Prigo­schin-Aufstand und seine Folgen, den weiteren Verlauf des Ukrai­ne­krieges sowie über die Pläne der USA, Russ­land zu zerstören.

 

Herr Dr. Kamkin, in west­li­chen Medien wird viel über die Hinter­gründe des soge­nannten „Prigo­schin-Aufstands“ speku­liert. Manche meinen, es sei ein Putsch­ver­such gegen Präsi­dent Putin gewesen, manche meinen, Prigo­schin sei in Wirk­lich­keit ein Agent der CIA. Welche Infor­ma­tionen haben Sie?
Alex­ander Kamkin: Ich teile die beiden Auffas­sungen nicht. Prigo­schin ist ein Patriot Russ­lands, der zugleich sehr hohe Ambi­tionen hat. In den ersten Stunden des Marsches nach Moskau begriff keiner im Westen, was da passiert. Natür­lich speku­lierte die ukrai­ni­sche Propa­ganda über den baldigen Unter­gand Russ­lands und seine kommende Teilung durch die Revolte. Aber es war nicht der Fall. Prigo­schin rebel­lierte nicht gegen Putin, nicht gegen die zentrale Macht in Moskau. Aus seinen Aussagen ergab sich, der Präsi­dent sei schlecht infor­miert, sehe die Situa­tion falsch, wobei die hoch­ran­gigen Beamten im Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium korrupt und inkom­pe­tent ­seien. Prigo­schin erklärte seine Tat dadurch, dass er das Land vor den Verrä­tern retten und dem Präsi­denten helfen wollte.

Alles begann damit, dass ein Feld­lager von Wagner-Truppen angeb­lich von der russi­schen Armee beschossen wurde. Es ist zwar nicht nach­ge­wiesen, aber früher äußerte sich der Wagner-Chef sehr kritisch über den Grana­ten­mangel, über den mangelnden Infor­ma­ti­ons­aus­tausch mit dem Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium. Kann sein, dass er so tatsäch­lich den Rück­tritt vom Vertei­di­gungs­mi­nister Schojgu erzielen wollte. Bemer­kens­wert ist es in diesem Zusam­men­hang, dass die Wagner-Soldaten nur den Stab der Mili­tär­kreises Süden besetzt haben, die Objekte der Polizei oder des Sicher­heits­dienstes FSB blieben nur beobachtet.

Es gibt auch eine komplett andere Version von der ganzen Geschichte. Es ist möglich, dass diese ganze Geschichte ein Infor­ma­ti­ons­krieg war, damit Kiew seine letzten kampf­fä­higen Truppen in die Gegen­of­fen­sive schickt. Der Gegner sollte einsehen, dass in Russ­land alles kaputt ist. Teil­weise war diese Desin­for­ma­tion gelungen. Die Angriffe der ukrai­ni­schen Armee wurden während des „Aufstandes“ viel inten­siver. Und in der Nacht vor der Revolte hat Russ­land so viele Raketen abge­feuert, wie man gewöhn­lich in einem Monat verwendet. Die Wagner-Truppen an der Front­linie blieben an ihren Stellen, in Rostow meis­tens die Soldaten aus den benach­barten Feld­la­gern. Natür­lich musste der Feind glauben, dass es um einen rich­tigen Putsch ging, so musste Prigo­schin einen Marsch nach Moskau befehlen. Aber es ist nur eine der Versionen. Die Tatsache, dass alles am glei­chen Tage endete, kann man damit begründen, dass das ursprüng­liche Szenario schief ging, und man wollte die gesamte Opera­tion glaub­würdig stoppen. Auf jeden Fall ist er kein CIA-Agent. Er ist natür­lich ein Mili­tär­ge­schäfts­mann, der in seinen Geschäften Konflikte mit dem Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium hatte. Dies war ein Grund für seine Anti­kor­rup­ti­ons­rhe­torik. Aber er ist defi­nitiv kein Staats­feind. Das weiß Putin, und deshalb gibt es keine Strafe für die Teil­nehmer dieser Aktion.

West­liche Poli­tiker und Kommen­ta­toren behaupten nun, Putin sei geschwächt. Ist das so?
Kamkin: Auf keinen Fall. Die letzten Ereig­nisse haben im Gegen­teil gezeigt, dass Putin noch stärker geworden ist. Die Mili­tärs und andere Sicher­heits­dienste haben ihn bedin­gungslos unter­stützt, die soziale Netz­werke explo­dierten vor Wut gegen die „Verräter“. Die meisten Russen verstanden, dass in so einer Situa­tion nur natio­nale Eini­gung den Bürger­krieg vermeiden kann. Die russi­schen Streit­kräfte haben ihre Loya­lität demons­triert. Die Eini­gung des Volkes mit der Armee und dem Präsi­denten ist jetzt so stark wie nie zuvor.

Es ist möglich, dass der Prigo­schin-Aufstand ein Infor­ma­ti­ons­krieg gegen die Ukraine war.

Sehen Sie Folgen des Prigo­schin-Aufstands für den weiteren Verlauf von Russ­lands mili­tä­ri­scher Spezi­al­ope­ra­tion in der Ukraine?
Kamkin: Am nächsten Tag hat Kiew mehrere Angriffe begonnen, die aber keinen Erfolg hatten. Die russi­schen Kampf­ein­heiten blieben in der Region, es gab keinen Rückzug für die Blockade der Wagner-Truppen. Die Privat­sol­daten an der Front­linie haben ihre Posi­tionen auch nicht verlassen. Insge­samt hatte Prigo­schin in Rostow nicht über 4.000 bis 5.000 Kämpfer. Also kann man über eine Schwä­chung der russi­schen Armee nicht reden. Im Gegen­teil, die totale Mobi­li­sie­rung in manchen ukrai­ni­schen Regionen zeugt davon, dass Kiew eine massive russi­sche Offen­sive erwartet. Die massiven Liefe­rungen west­li­cher Waffen und Mili­tär­spe­zia­listen haben nicht geholfen. In diesem Zusam­men­hang sehe ich keine nega­tiven Folgen für die Spezi­al­ope­ra­tion Russlands.

Welche Möglich­keiten sehen Sie, damit der Ukrai­ne­krieg, der im Grunde genommen ein in der Ukraine ausge­tra­gener Stell­ver­tre­ter­krieg der USA bzw. der NATO gegen Russ­land ist, beendet werden kann?
Kamkin: Die Draht­zieher dieses Konfliktes, England und die USA, werden gegen Russ­land bis zum letzten Ukrainer kämpfen. Wenn sie behaupten, dass der Konflikt wegen der Unfä­hig­keit der ukrai­ni­schen Armee lieber auf Eis gelegt werden soll, werden sie Selenski trotz seiner Rhetorik dazu zwingen. Im Notfall wird er einfach plötz­lich even­tuell in einem Unfall ums Leben kommen. Aber die Stra­tegie der Einkes­se­lung Russ­lands wird bleiben.

Während des Prigo­schin-Aufstands haben einige west­liche Medien gehofft, dass es in Russ­land zum Bürger­krieg kommt, ja sogar, dass Russ­land zerfallen könnte. Im Juni 2022 hat die US-Behörde Helsinki Commis­sion ein Seminar mit dem Titel „Russ­land entko­lo­nia­li­sieren“ veran­staltet (siehe: Ich nehme an, in Russ­land werden solche unfreund­li­chen Akti­vi­täten der USA genau verfolgt, oder?
Kamkin: Natür­lich. Sie haben Recht, die Ameri­kaner und ukrai­ni­sche Akti­visten arbeiten sehr intensiv mit poli­ti­schen Emigranten aus Russ­land genau in diese Rich­tung. Es exis­tie­rend Dutzende Gruppen, die an der Zersplit­te­rung Russ­lands arbeiten. Man reden über die Befreiung der Klein­völker, Moskauer Hege­mo­nismus usw. Im Endef­fekt ist es eine Fort­set­zung des stra­te­gi­schen Plans der USA aus 1950er Jahren – PL-8690 – der einen Zerfall der UdSSR in 40 oder 50 vom Westen kontrol­lierte Staaten beinhal­tete. Wir sehen da ja nichts Neues.

Leider betei­ligt sich Öster­reich am Sank­ti­ons­krieg gegen Russ­land, was wirk­lich sehr schade ist.

Sehen Sie Möglich­keiten, dass es in den kommenden Jahren zu einer Norma­li­sie­rung der Bezie­hungen zwischen dem Westen und Russ­land kommen kann?
Kamkin: Nur unter der Voraus­set­zung, dass in Europa national denkende Poli­tiker an die Macht kommen. Wir erleben zur Zeit die Erosion libe­raler Parteien und den Aufschwung souve­räner poli­ti­scher Kräfte, wenn Europa doch zum Europa der Vater­länder wird, dann gibt es eine Hoff­nung solcher Art. Also raus aus dem ameri­ka­ni­schen Sektor!

Öster­reich als neutraler Staat hatte in Russ­land lange Zeit großes Ansehen. Doch das dürfte wegen der Unter­stüt­zung der Sank­tionen gegen Russ­land vorbei sein, oder?
Kamkin: Leider betei­ligt sich Öster­reich am Sank­ti­ons­krieg gegen Russ­land, was wirk­lich sehr schade ist. Eure Poli­tiker, welche für Kontakte mit Russ­land plädieren – Karin Kneissl zum Beispiel – werden durch die Medi­en­ter­ro­risten verfolgt. Aber es bleiben Kontakte im Geschäfts­be­reich, auf dem Gebiet der Volks­di­plo­matie. Die Hoff­nung ist nicht verloren.
Die Sank­tionen gegen Russ­land und die Waffen­lie­ge­rungen an die Ukraine haben gezeigt, dass der von den USA ange­führte kollek­tive Westen ziem­lich alleine dasteht, während gleich­zeitig reges Inter­esse an einer BRICS-Mitglied­schaft besteht.

Erleben wir den Über­gang zu einer multi­po­laren Weltordnung?
Kamkin: Defi­nitiv. Der globale Schur­ken­staat – so Noam Chomsky über die USA – verliert an Ansehen und Vertrauen, es entstehen neue Macht­zen­tren, die sich auf Souve­rä­nität, Ansehen und Vertrauen stützen.

Welche Rolle bei der Schaf­fung einer multi­po­laren Welt­ord­nung spielen Projekte zur (wirt­schaft­li­chen) Inte­gra­tion Eura­siens? Ich denke da nicht nur an die Neue Seiden­straße Chinas, sondern vor allem auch die von ­Moskau initi­ierte „Greater Eura­sian Partnership“.
Kamkin: Moskau hat eine globale Wende nach Osten begonnen. Wir sehen den Ausbau eines Bünd­nisses mit China, Inten­si­vie­rung der Zusam­men­ar­beit mit dem Iran, mit vielen anderen Nahost-Staaten. In Eura­sien passieren große Ände­rungen, in zehn Jahren wird die gesamte Archi­tektur des Konti­nents anders aussehen.

Kann man es so formu­lieren, dass die feind­se­lige Haltung der USA gegen­über Russ­land darin begründet ist, dass Washington aus geopo­li­ti­schen und geoöko­no­mi­schen Gründen eine eura­si­sche Inte­gra­tion verhin­dern will?
Kamkin: Das war und bleibt das Haupt­ziel der Ameri­kaner. Ihre Macht­elite, der soge­nannte deep state, will „hard­land“, d.h. Eura­sien, unter Kontrolle halten. Dazu braucht man Farben­re­vo­lu­tionen, Konflikte. Nur so können die USA die Inte­gra­ti­ons­pro­zesse in Rich­tung einer gerechten Welt verhindern.

Zum Autor:
Dr. Alex­ander ­Kamkin, ­Jahr­gang 1978, ist Histo­riker und Politik­wissenschafter und seit 2009 an der Akademie der Wissen­schaften der Russi­schen Föde­ra­tion tätig. Seine wissen­schaft­liche Forschungs­be­reiche sind Deutsch­land­kunde, Geschichte der russisch-euro­päi­schen Bezie­hungen, aktu­elle poli­ti­sche Lage in Europa und Russ­land. Darüber ­hinaus ist Kamkin oft als poli­ti­scher Experte im russi­schen Fern­sehen zu sehen (Bild: Privat)

Das Gespräch führte Bern­hard Toma­s­chitz, der Beitrag erschien zuerst auf ZURZEIT, unserem Partner in derEU­RO­PÄI­SCHEN MEDIENKOOPERATION


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6 Kommentare

  1. Der Krieg hatte für die Olig­ar­chen­kaste gleich drei Vorteile:
    1. Perfekte Ablen­kung vom C‑Verbrechen
    2. Rüstungs­in­dus­trie noch reicher gemacht
    3. Schlei­chende Enteig­nung (Hyper­in­fla­tion) und Verelen­dung der westl. Massen

    Und Putin lacht sich schlapp über die „Sank­tionen“. Russ­land wird zum größten Ölpro­du­zenten der OPEC.
    report24.news/sanktionen-sinnlos-russland-wird-zum-groessen-oelproduzenten-der-opec/

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  2. Eine gemein­same Nebel­kerze von Prigo und Puti.
    Jede mögliche Reak­tion des Westens wird zum russi­schen Vorteil genutzt.

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