Ukraine-Krieg und Völker­recht (Völker­rechts-Expertin Dr. Eva Maria Barki)

UKRAINE-KRISE:

RECHTLICHE STELLUNGNAHME der VÖLKERRECHTS-JURISTIN Dr. Eva Maria Barki

I.) Kurzu­sam­men­fas­sung

  1. Der russi­sche Präsi­dent Wladimir Putin soll wegen Völker­rechts­ver­bre­chen vor dem Straf­ge­richtshof in den Haag ange­klagt werden. Das fordern u.a. sogar die USA, welche aber für sich selbst den Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof nicht anerkennen.
  1. Diese Anschul­di­gungen entbehren nicht nur jeder recht­li­chen Grund­lage, sondern sie sind Teil der soge­nannten US-„National Secu­rity Stra­tegy 2002“ (1991) zur Ausschal­tung Russ­lands im Sinne eines Unil-late­ra­lismus. Dabei kommt der Ukraine als „Dreh- und Angel­punkt“ eine Schlüs­sel­rolle zu.
  2. Völker­rechts­ver­let­zungen sind den ukrai­ni­schen Macht­ha­bern vorzu­werfen, u.a.: · Verlet­zung von Rechten natio­naler Minder­heiten · Verlet­zung der Abkommen von Minsk · Verlet­zung des Selbst­be­stim­mungs­rechtes der Völker
  3. Die Ukraine ist kein homo­gener, histo­risch gewach­sener Natio­nal­staat, sondern ein Viel­völ­ker­staat. Mehr als die Hälfte des Staates spricht als Umgangs­sprache nicht Ukrainisch.
  4. Für die Ukraine als Viel­völ­ker­staat wäre eine föde­rale Staats­form erfor­der­lich. Bereits US- Präsi­dent George W. Bush warnte 1991 vor einem „selbst­mör­de­ri­schen Kampf der Natio­na­li­täten“.
  5. Ursache des Ukraine-Krieges war er blutige Maidan-Putsch-2014, unter Einset­zung einer vom Westen unter­stützten Regie­rung. Die Reak­tion darauf – aus Furcht vor einer ähnli­cher Aggres­sion ‑waren (sowohl im Donbass und auf der Krim) Volks­ab­stim­mungen (mit bis zu 90% russi­scher Zustim­mung). Die mili­tä­ri­sche Reak­tion der Ukraine darauf waren schwerste Artillerie‑, Raketen- und Bomben­an­griffe, sowie Zerstö­rung ziviler Einrich­tungen und Infrastruktur.
  6. Das Abkommen von Minsk I (September 2014) wurde von der ukrai­ni­schen Regie­rung gebro­chen: Es beinhaltet: einen Waffen­stil­stand, eine De-facto- Aner­ken­nung der russi­schen Gebiete im Donbass.
  7. Auch das Abkommen von Minsk II (12.2.2015) wurde nicht einge­halten, u.a.: Lokal­wahlen in den dezen­tra­li­sierten russi­schen Gebieten (Donezk und Lugansk)
  8. Das Abkommen von Minsk ist ein völker­recht­lich verbind­li­cher Vertrag, welcher durch die UN-Reso­lu­tion Nr.2202 des UN-Sicher­heits­rates völker­recht­lich verbind­lich ist. Der Vertrags­bruch durch die Ukraine unter Anwen­dung mili­tä­ri­scher Gewalt ist als Kriegs­ver­bre­chen zu werten.
  9. Vertrags­ver­let­zungen betreffen: das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker. Es ist ein univer­selles Natur­recht und wurde erst­mals von Präsi­dent Woodrow Wilson aufge­stellt. In realiter wurde aber nach dem 1. und 2. Welt­krieg den Völkern Mittel­eu­ropas dieses Recht verwehrt.

Im UN-Menschen­rechts­pakte (16.12.1966) heißt es: „Alle Völker haben das Recht auf Selbst­be­stim­mung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren poli­ti­schen Status und gestalten in Frei­heit, ihre wirt­schaft­liche, soziale und kultu­relle Entwick­lung.“ Inso­fern aber ist das Selbst­be­stim­mungs­recht ein Kollek­tiv­recht eines Volkes und zwin­gendes Recht (ius cogens).

Die 1954 durch Chruscht­schow erfolgte Schen­kung der Halb­insel Krim an die Ukraine verletzte dieses Selbst­be­stim­mungs­recht. Somit aber beruft sich Putin daher auf das Recht zur Wieder­her­stel­lung der Gerechtigkeit.

Im Völker­recht gibt es (neben der Verlet­zung grund­le­gender Menschen­rechte) nur drei zwin­gende Normen: das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker, das Gewalt­verbot und das Verbot des Völker­mordes. Die Verlet­zung der terri­to­rialen Inte­grität bzw. der staat­li­chen Souve­rä­nität gehört nicht dazu! Auch die Dekla­ra­tion der UN- Gene­ral­ver­samm­lung Nr. 2625  (24.10 1970 „Friendly Rela­tions Decla­ra­tion“) erkennt das Sezes­si­ons­recht ausdrück­lich an.

  1. Staat­liche Souve­rä­nität als Argu­mente gegen die Sezession

Auffal­lend ist…: Gerade jene Befür­worter der  staat­li­chen Souve­rä­nität betreiben die Auflö­sung des Natio­nal­staates. Staat­liche Souve­rä­nität beinhaltet das Recht, die Verfas­sungs- und Rechts­ord­nung unab­hängig vom Einfluss äußerer Mächte zu gestalten. Der Schutz der terri­to­rialen Inte­grität bezieht sich ausschließ­lich auf die Bezie­hungen zwischen den Staaten und nicht auf die Völker.

Völker haben gemäß der Reso­lu­tion der UN-Gene­ral­ver­samm­lung (7.12.1987) das Recht für Selbst­be­stim­mung zu kämpfen, wobei auch Gewalt gerecht­fer­tigt ist.

Weiters: Die Helsinki-Schluss­akte-1975 in Bezug auf die Sezes­sion der Krim

  1. Buda­pester Memo­randum (1994)
  2. Das wich­tigste Kriegs­ziel von Präsi­dent Putin ist berech­tigt: nämlich bezüg­lich des Schutzes der russi­schen Bevöl­ke­rung.
  3. Entmi­li­ta­ri­sie­rung und Entna­zi­fi­zie­rung der Ukraine auch außer­halb des Donbass: Gemäß der neuen Völker­rechts­lehre ist auch ein präven­tiver Angriffs­krieg zulässig, wenn wesent­liche Inter­essen und die Sicher­heit gefährdet erscheinen.
  4. Russ­land aber befindet sich zwei­fellos in dieser Situa­tion: Seine innere Sicher­heit und Inte­grität sind gefährdet. Russ­land ist von der NATO zur Gänze einge­kreist. Russ­land behauptet über­dies auch die Exis­tenz von US-ukrai­ni­schen Bio-Labors an seinen Grenzen.

Gerade aber jene rechts­extremen Kräfte in der Ukraine haben bereits im 2. Welt­krieg Massaker an Russen und Juden mit 50.000 Toten verur­sacht, und sie sind gleich­zeitig auch die trei­benden Kräfte im Krieg gegen den Donbass.

  1. Nicht Russ­land verletzt das Völker­recht, sondern im Gegen­teil die Macht­haber in Kiew, unter­stützt vom Westen (mit finan­zi­ellen Mitteln und Waffen), sowie befeuert von den west­li­chen Medien.
  2. Der Ukraine-Krieg beweist: Das Völker­recht hat keine Geltung mehr. Der Westen bestreitet dies nicht einmal mehr, indem er sich auf eine „regel­ba­sierte Ordnung“ beruft, die der Westen mit allen Mitteln oktroyiert.

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Dr. Eva Maria Barki
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UKRAINE-KRISE
RECHTLICHE STELLUNGNAHME
UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DES VÖLKERRECHTS

1. Seit 24. Februar 2022 wird Russ­land ein Über­fall auf den souve­ränen Staat der
Ukraine und damit eine völker­rechts­wid­rige Aggres­sion vorge­worfen. Präsi­dent Wladimir
Putin persön­lich wird beschul­digt, Völker­rechts­ver­bre­chen in Auftrag gegeben zu haben und
gab es Stimmen, ein Verfahren beim Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof in den Haag
einzu­leiten, sogar aus den USA, welche für sich selbst den Inter­na­tio­nalen Strafgerichtshof
nicht anerkennen.

2. Die Anschul­di­gungen entbehren jeder fakti­schen und recht­li­chen Grund­lage. Sie sind
als Teil des bereits 1991 von den USA konzi­pierten und in der „National Secu­rity Strategy
2002“ begrün­deten Krieges gegen Russ­land zur Ausschal­tung als Rivale und zur Wahrung des
Macht­mo­no­pols der USA zu sehen. Der geopo­li­ti­sches Stra­tege Zbigniew Brze­zinski hat die
Ukraine als wich­tigen Raum auf dem Eura­si­schen Schach­brett und als poli­ti­schen Dreh- und
Angel­punkt bezeichnet. Der Krieg in der Ukraine ist daher ein Krieg der USA gegen Russland.

3. Rechts­ver­let­zungen, insbe­son­dere auch Verlet­zungen des Völker­rechts sind nicht
Russ­land, sondern im Gegen­teil den ukrai­ni­schen Macht­ha­bern vorzu­werfen und zwar:
 Verlet­zung von Volks­grup­pen­rechten und Rechten natio­naler Minderheiten
 Verlet­zung der beiden Abkommen von Minsk
 Verlet­zung des Selbst­be­stim­mungs­rechtes der Völker
 Verlet­zung des Buda­pester Memo­ran­dums (5. Dezember 1994)

4. Die Ukraine ist kein homo­gener, histo­risch gewach­sener Natio­nal­staat, seine Gebiete
gehörten im Laufe der Geschichte mehr­fach anderen Staaten an, wie z.B. im Westen die
Karpato-Ukraine die bis zum 1. Welt­krieg Bestand­teil des König­rei­ches Ungarn bzw. der
Habs­burg-Monar­chie war und die mehr­heit­lich von Ruthenen und Ungarn bewohnt sind,
weitere Volks­gruppen bilden Polen, Bela­russen, Rumänen und Bulgaren, insbe­son­dere aber
mindes­tens 6 Millionen Russen im Osten der Ukraine. Die Umgangs­sprache in der Ukraine
ist für mehr als die Hälfte der Bevöl­ke­rung nicht ukrainisch.

5. Da die Ukraine sohin aus Gebiets­teilen und Bevöl­ke­rungs­teilen mit verschiedenen
histo­ri­schen, kultu­rellen und natio­nalen Iden­ti­täten besteht, ist eine föde­rale Staatsform
erfor­der­lich bzw. eine Berück­sich­ti­gung der Rechte der verschie­denen Volks­gruppen und
Nationalitäten.
Als 1991 während des Zerfalles des Sowjet­union die Frage der Unab­hän­gig­keit der Ukraine,
die bis dahin eine sowje­ti­sche Repu­blik war, aktuell wurde, ermahnte der amerikanische
Präsi­dent George W. Bush in seiner Rede am 1. August 1991 im ukrai­ni­schen Parla­ment die
Abge­ord­neten, nicht für die Unab­hän­gig­keit, sondern für den Verbleib bei Russ­land zu
stimmen, weil ansonsten ein „selbst­mör­de­ri­sche Kampf der Natio­na­li­täten“ statt­finden wird.
Er sollte Recht behalten.

6. Ausgangs­punkt und Ursache der derzei­tige Krise waren die blutigen Ereig­nisse auf
dem Maidan 2014, die mit einem Putsch und der Einset­zung einer west­lich orien­tierten und
vom Westen unter­stützten Regie­rung endeten.
Als Reak­tion darauf und aus Furcht vor einer ähnli­cher Aggres­sion wurden sowohl im
Donbass – in der Oblast Lugansk und in der Oblast Donezk – aber auch auf der Krim
Volks­ab­stim­mungen durch­ge­führt, welche die Zustim­mung für eine staatliche
Eigen­stän­dig­keit zum Gegen­stand hatten.
Als Ergebnis des Refe­ren­dums erklärten sich Lugansk und Donezk für unab­hängig. (90 % für
die Unab­hän­gig­keit bei einer Wahl­be­tei­li­gung von 75 % in Donezk und über 80 % in Lugansk)
Die Antwort der (nicht legi­timen) Regie­rung in Kiew waren die Entsen­dung von Militär und
ameri­ka­ni­schen Söldner Truppen, schwerste Artil­lerie Rake­ten­an­griffe, Bombenangriffe,
Phos­phor­bomben, Streu­bomben, Zerstö­rung von Häusern, Schulen, Spitä­lern, Infrastruktur,
Abschal­tung von Strom, Verwei­ge­rung von Hilfs­gü­tern, mit dem Ergebnis von über 5000
Toten – mehr­heit­lich Zivi­listen, Millionen Flücht­lingen und mit dem Ergebnis eines
unbe­schreib­li­chen sozialen Notstandes.

7. Im darauf­fol­genden Abkommen von Minsk I im September 2014 wurde ein
Waffen­stil­stand, sowie Schritte zur Umset­zung eines Frie­dens­planes betref­fend den Donbass
verein­bart, wobei die beiden Repu­bliken de facto aner­kannt wurden.
Die Verein­ba­rung wurde von der ukrai­ni­schen Regie­rung gebro­chen, die Kämpfe wurden
fortgesetzt.

8. Im Abkommen von Minsk II von 12.2.2015 wurde die Umset­zung von Minsk I
verein­bart, mit dem Ziel, den Konflikt dadurch zu berei­nigen, dass insbesondere
 eine Verfas­sungs­re­form in der Ukraine und eine Dezen­tra­li­sie­rung in Bezug auf die
Gebiete Donezk und Lugansk geführt wird
 ein Gesetz über den beson­deren Status von Donezk und Lugansk erlassen wird
 regio­nale Wahlen in diesen Gebieten der lokalen Selbst­ver­wal­tung durchzuführen
sind
Der ukrai­ni­sche Regie­rungs­chef Arsenij Jazenjuk hat bereits einen Tag später zu erkennen
gegeben, dass auch Minsk II nicht einge­halten und die Ansprüche auf Donezk uns Lugansk
nicht aufge­geben werden.

9. Das Abkommen von Minsk ist ein völker­recht­lich verbind­li­cher Vertrag, welcher
durch Verab­schie­dung der Reso­lu­tion 2202 des UN Sicher­heits­rates bekräf­tigt und damit
völker­recht­lich für alle Staaten verbind­lich ist.
Die Regie­rung in Kiew hat die Verein­ba­rungen von Minsk nicht einge­halten, nicht nur den
Waffen­stil­stand gebro­chen, sondern insbe­son­dere die Verfas­sungs­re­form und die Schaffung
eines auto­nomen Status für Lugansk uns Donezk nicht durchgeführt.
Damit liegt nicht nur ein Vertrags­bruch vor, sondern sind die militärischen
Aggres­si­ons­hand­lungen gegen den Donbass in Verlet­zung dieses Vertrages zwei­fellos als
Kriegs­ver­bre­chen zu werten.

10. Verletzt wurde insbe­son­dere das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker als
funda­men­talste Grund­norm des Völker­rechts. Das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker als
Grund­recht jeder demo­kra­ti­schen und gerechten inter­na­tio­nalen Ordnung hat immer als
Natur­recht gegolten. Es ist als univer­selles Recht die Voraus­set­zung für alle anderen Rechte, sowohl des einzelnen als auch jeder Gemein­schaft. Ohne Selbst­be­stim­mung gibt es keine poli­ti­sche Frei­heit, ohne Frei­heit keine Demo­kratie und keine gerechte internationale
Ordnung. Und ohne gerechte inter­na­tio­nale Ordnung keinen Frieden. Alle lokalen Konflikte
haben ihren tieferen Grund in der Verwei­ge­rung der Selbst­be­stim­mung. Das Selbst= bestim­mungs­recht der Völker ist daher die wich­tigste Voraus­set­zung für Frieden und
das fried­liche Zusam­men­leben der Völker und Nationen.
Als poli­ti­sches Postulat wurde das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker erst­mals von
Präsi­dent Woodrow Wilson in seinem 14 Punkte Programm zur Been­di­gung des 1.
Welt­krieges aufge­stellt, welches nicht nur Motiv für den Waffen­still­stand war, sondern auch
als Grund­lage für die Frie­dens­ver­hand­lungen dienen sollte. Infolge Miss­ach­tung der
Selbst­be­stim­mung haben diese keinen Frieden gebracht, sondern den Grund­stein für neue
Konflikte gelegt, die bis zum heutigen Tage nicht gelöst und auch bereits aufge­bro­chen sind
(siehe Naher Osten).

Im 2. Welt­krieg haben Präsi­dent Franklin Roose­velt und der engli­sche Premier Winston
Chur­chill in der Atlantik Charta 1941 die Grund­sätze einer zukünf­tigen Frie­dens­ord­nung mit
dem wich­tigstes Ziel der Selbst­be­stim­mung der Völker fest­ge­legt. Auch dies blieben leere
Worte, in Jalta herrschte bereits eine andere Sprache. So wie nach dem 1. Welt­krieg wurde
auch nunmehr den Völkern der euro­päi­schen Mitte die Selbst­be­stim­mung verwehrt und die
Hälfte des Konti­nents unter Fremd­herr­schaft gestellt.
Infolge dessen wurde das in den Arti­keln 1 und 55 der Charta der Vereinten Nationen als Ziel und Grund­lage für fried­liche Bezie­hungen zwischen den Nationen aufgenommene
Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker ledig­lich als poli­ti­sches Konzept für Kolonialvölker
betrachtet, für Europa sah man keinen Bedarf.

UN-Menschen­rechts­pakte vom 16.12.1966

Seit den beiden UN-Menschen­rechts­pakten vom 16.12.1966, dem Inter­na­tio­nalen Pakt über bürger­liche und poli­ti­sche Rechte und dem Inter­na­tio­nalen Pakt über wirt­schaft­liche, soziale und kultu­relle Rechte ist das Selbst­be­stim­mungs­recht nunmehr nicht nur eine poli­ti­sche Ziel­vor­stel­lung, es wird nicht nur wie in der UN Charta als Prinzip umschrieben, sondern begründet ein.

Recht der Völker und eine bindende Wirkung der Vertragsstaaten

In beiden Menschen­rechts­pakten, die indi­vi­du­elle Menschen­rechte beinhalten, wird in
Artikel 1 das Kollek­tiv­recht der Völker als Grund­lage der Menschen­rechte normiert. In Artikel 1 der beiden Pakte heißt es gleich­lau­tend: „Alle Völker haben das Recht auf
Selbst­be­stim­mung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren poli­ti­schen Status und gestalten in Frei­heit ihre wirt­schaft­liche, soziale und kultu­relle Entwicklung.“
Demgemäß wird auch im Menschen­recht­li­chen Kommentar des Menschen­rechts­aus­schusses der Vereinten Nationen, dem die Über­wa­chung des Inter­na­tio­nalen Paktes über bürger­liche und poli­ti­sche Rechte obliegt, ausge­führt, dass das Selbst­be­stim­mungs­recht die grund­le­gende Vorbe­din­gung für den Genuss aller Menschen­rechte ist. Viele Wissen­schaftler vertreten daher die Auffas­sung, dass das Selbst­be­stim­mungs­recht über das Kollek­tiv­recht eines Volkes hinaus auch als indi­vi­du­elles Menschen­recht der Einzel­per­sonen zu verstehen ist.

Das Selbst­be­stim­mungs­recht ist zwin­gendes Recht (ius cogens)

Es ist einhel­lige Meinung, dass das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker zwin­gendes Recht –
ius cogens – ist. Dies bedeutet, dass von dieser Norm in keinem Fall, auch nicht durch
Vertrag, abge­wi­chen werden darf.
Gemäß Artikel 53 der Wiener Vertrags­rechts­kon­ven­tion (WVK) sind Verträge, die im
Wider­spruch zu einer zwin­genden Norm stehen, nichtig.

Die Bedeu­tung einer zwin­genden Norm im Völker­recht kann daran ermessen werden, dass
sie sogar eine rück­wir­kende Wirkung entfaltet (ius cogens super­ve­niens). Gemäß Artikel 64
der WVK wird jeder Vertrag nichtig und erlischt, wenn nach­träg­lich eine zwingende
völker­recht­liche Norm entsteht. Ein solcher Vertrag erlischt demnach unab­hängig vom
Willen der Parteien. Das Erlö­schen des Vertrages hat gemäß Artikel 71 WVK die Wirkung,
dass sie die Vertrags­par­teien von der Verpflich­tung befreit, den Vertrag weiter zu erfüllen
und darf die durch den Vertrag geschaf­fene Rechts­lage nur inso­weit aufrecht erhalten
werden, als sie nicht im Wider­spruch zur zwin­genden Norm steht.
Für die Krim bedeutet dies, dass die 1954 von Chruscht­schow erfolgte Schen­kung an die
Ukraine, die zwei­fellos das Selbst­be­stim­mungs­recht verletzte, mit Inkraft­treten der
ober­wähnten Artikel 1 der UN-Menschen­rechts­pakte erlo­schen ist und die Zuge­hö­rig­keit zur
Ukraine auch aus diesem Grund nicht aufrecht­erhalten werden darf. Putin hatte daher
Recht, wenn er sich auch auf die Wieder­her­stel­lung der Gerech­tig­keit berufen hat.
Zur Klar­stel­lung: Es gibt im Völker­recht neben der Verlet­zung grundlegender
Menschen­rechte nur drei Normen, die zwin­gendes Recht sind: das Selbstbestimmungsrecht
der Völker, das Gewalt­verbot und das Verbot des Völker­mordes. Die Verlet­zung der
terri­to­rialen Inte­grität bzw. der staat­li­chen Souve­rä­nität gehört nicht dazu!
Reso­lu­tion der Gene­ral­ver­samm­lung der Vereinten Nationen 2625 (XXV)
vom 24.10 1970 „Friendly Rela­tions Declaration“
Neben der Allge­meinen Erklä­rung der Menschen­rechte ist die Prin­zi­pi­en­er­klä­rung der
Gene­ral­ver­samm­lung der Vereinten Nationen vom 24.10.1970, die Friendly Relations
Decla­ra­tion, die im Konsens-Verfahren – das heißt ohne Gegen­stimme – beschlossen wurde,
der zwei­fellos bedeu­tendste Beschluss der UN-Gene­ral­ver­samm­lung. Wenn­gleich keine
formelle Rechts­ver­bind­lich­keit besteht, so beinhaltet die Dekla­ra­tion – wie sich aus den
Schluss­be­mer­kungen ergibt – die Wieder­gabe des geltenden Völkergewohnheitsrechtes.
In dieser Dekla­ra­tion wird das Sezes­si­ons­recht ausdrück­lich aner­kannt, und zwar entweder
durch Grün­dung eines eigenen souve­ränen Staates, oder die freie Asso­zia­tion mit einem
anderen Staat oder die Einglie­de­rung in einen anderen Staat.
Die Dekla­ra­tion enthält nicht nur das Recht der Völker über ihren poli­ti­schen Status frei zu
entscheiden, sondern auch das Recht, im Falle eines Wider­standes beim Bemühen um die
Ausübung des Selbst­be­stim­mungs­rechtes um Unter­stüt­zung zu suchen und zu erhalten.
In Ergän­zung hiezu enthält die Dekla­ra­tion die Pflicht jedes Staates, jede Gewaltmaßnahme
zu unter­lassen, welche ein Volk seines Rechtes auf Selbst­be­stim­mung beraubt, sowie
ausdrück­lich auch die Pflicht jedes Staates, die Verwirk­li­chung der Selbst­be­stim­mung zu
unterstützen.Eine Einschrän­kung der äußeren Selbst­be­stim­mung ist nur dann gegeben, wenn ein Staat die innere Selbst­be­stim­mung gewähr­leistet, das heißt die gesamte Bevöl­ke­rung unter Wahrung der inneren Selbst­be­stim­mung vertritt.
Auch unter Zugrun­de­le­gung der Friendly Rela­tions Decla­ra­tion hatte die Krim das Recht zur
Sezes­sion, das Recht die Russi­sche Föde­ra­tion um Hilfe zu ersu­chen und hatte die Russi­sche Föde­ra­tion sogar die Pflicht diese Hilfe zu leisten.

11. Staat­liche Souve­rä­nität und terri­to­riale Integrität
Als Argu­mente gegen die Sezes­sion und für die Begrün­dung einer Anne­xion werden die
Grund­sätze der staat­li­chen Souve­rä­nität und terri­to­rialen Inte­grität gebraucht.
Zunächst ist auffal­lend, dass insbe­son­dere jene auf die Achtung der staat­li­chen Souve­rä­nität verweisen, die ansonsten die staat­liche Souve­rä­nität als obsolet betrachten und die Auflö­sung des Natio­nal­staates betreiben.
Staat­liche Souve­rä­nität beinhaltet das Recht, die Verfas­sungs- und Rechtsordnung
unab­hängig vom Einfluss äußerer Mächte zu gestalten. Sie bezieht sich auf das Verhältnis der Staaten bzw. Völker­rechts­sub­jekte zuein­ander und nicht auf die Rechte eines Volkes
gegen­über dem Staat. Wenn es auch ein Span­nungs­ver­hältnis zwischen Selbstbestimmung
des Volkes und Souve­rä­ni­täts­an­spruch des Staates gibt, so hat jeden­falls das
Selbst­be­stim­mungs­recht Vorrang. Die staat­liche Souve­rä­nität hat ihre Grenzen im
Völker­recht. Kein völker­recht­li­cher Vertrag, aber auch keine inner­staat­liche Verfas­sung kann das Selbst­be­stim­mungs­recht verbieten (siehe ius cogens).
Der Schutz der terri­to­rialen Inte­grität ist in Artikel 2 Abs. 4 der Charta der Vereinten
Nationen enthalten und bezieht sich eben­falls ausschließ­lich auf die Bezie­hungen zwischen
den Staaten und nicht auf die Völker. Es verpflichtet die Staaten und nicht die Völker,
Gewalt­an­wen­dungen oder Drohungen, die gegen die terri­to­riale Unver­sehrt­heit und
Unab­hän­gig­keit eines Staates gerichtet sind, zu unterlassen.
Völker haben gemäß der Reso­lu­tion der UN Gene­ral­ver­samm­lung vom 7.12.1987
A/RES/42/259 unter ausdrück­li­chem Hinweis auf die Friendly Rela­tions Decla­ra­tion das
Recht für Selbst­be­stim­mung zu kämpfen („to struggle“), wobei auch Gewalt gerecht­fer­tigt ist (Punkt 14. der Resolution).

Helsinki Schluss­akte 1975

Viel­fach wird die Rechts­wid­rig­keit der Sezes­sion der Krim mit den Helsinki Schluss­akten 1975 und dem darin enthal­tenen Prinzip der Unver­letz­lich­keit der Grenzen (III.) und der
Terri­to­rialen Inte­grität der Staaten (IV.) begründet. Dies ergibt sich aus dem
Souve­rä­ni­täts­prinzip in Punkt I. und bezieht sich auf die Teil­neh­mer­staaten, die gegenseitig
ihre auf Souve­rä­nität beru­henden Rechte zu achten haben, bezieht sich demnach nicht auf
die Völker.
Voll­kommen über­sehen und igno­riert wird aber, dass auch die Helsinki Schluss­akte in Punkt
VIII. das kollek­tive Recht der Völker auf Selbst­be­stim­mung und darüber hinaus auf
Gleich­be­rech­ti­gung der Völker beinhalten. Artikel 1 der Menschen­rechts­pakte wird sogar
erwei­tert und verstärkt, indem betont wird, dass die Völker dieses Recht ausüben können
wann und wie sie es wünschen. Neben der Bestim­mung des poli­ti­schen Status wird
zusätz­lich zu der in den Menschen­rechts­pakten genannten wirt­schaft­li­chen, sozialen und
kultu­rellen Entwick­lung ausdrück­lich auch die poli­ti­sche Entwick­lung genannt, die nach
eigenen Wünschen verfolgt werden soll.
Über­sehen und igno­riert wird auch die in den Helsinki Schluss­akten enthal­tene Mahnung,
welche Bedeu­tung die wirk­same Ausübung der Gleich­be­rech­ti­gung und des
Selbst­be­stim­mungs­rechtes der Völker hat und die ausdrück­liche Erin­ne­rung an die
Bedeu­tung der Besei­ti­gung jegli­cher Form der Verlet­zung dieses Prinzips.
Die Helsinki Schluss­akte haben zwei­fellos dazu beigetragen, dass 15 Jahre später die Macht
des Volkes in zahl­rei­chen Ländern eine Selbst­be­stim­mungs­welle in Gang gesetzt hat, die ein tota­li­täres System zum Einsturz brachte und zahl­rei­chen Völkern Unab­hän­gig­keit und
Frei­heit brachte.

12. Buda­pester Memo­randum 1994

Eine weitere – derzeit nur versuchte – Rechts­ver­let­zung ist die von der Regie­rung bekannt
gege­bene Absicht, man werde den im Buda­pester Memo­randum 1994 enthal­tenen Verzicht
auf Atom­waffen nicht einhalten und gege­be­nen­falls die Produk­tion von Atomwaffen
aufnehmen.

13. Das erste und wich­tigste von Präsi­dent Putin formu­lierte Kriegs­ziel, nämlich Schutz
der russi­schen Bevöl­ke­rung ist daher berech­tigt wird durch weiter andau­ernde militärische
Angriffe gegen den Donbass bekräftigt.

14. Entmi­li­ta­ri­sie­rung und Entna­zi­fi­zie­rung der Ukraine

Präsi­dent Putin hat in der Folge als weiteres Kriegs­ziel über den Donbass hinaus die
Entmi­li­ta­ri­sie­rung und Entna­zi­fi­zie­rung der Ukraine ange­geben und zu diesem Zwecke auch
Aktionen außer­halb des Donbass durch­führen lassen.
Zur Beant­wor­tung der Frage, ob diese zwei­fellos krie­ge­ri­schen Aktionen gerecht­fer­tigt sind,
ist die neueste Lehre im Völker­recht zum Thema Angriffs­kriege heranzuziehen.
Wenn auch mili­tä­ri­sche Aktionen ausschließ­lich unter dem Mandat der Vereinten Nationen
zulässig sind, so wird in den letzten Jahren die Zuläs­sig­keit eines Krieges zum Zwecke der
Frie­den­si­che­rung und im Zusam­men­hang mit huma­ni­tären Inter­ven­tionen diskutiert.
Gemäß der neuen Völker­rechts­lehre ist auch ein präven­tiver Angriffs­krieg zulässig, wenn
wesent­liche Inter­essen und die Sicher­heit gefährdet erscheinen. Zur Abwehr allfällig und
drohender Angriff ist auch ein mili­tä­ri­scher Präven­ti­ons­schlag gerechtfertigt.

15. Russ­land befindet sich zwei­fellos in einer Situa­tion, in der seine Sicher­heit und auch
seine Inte­grität gefährdet sind. Russ­land ist von der NATO zur Gänze einge­kreist, in
unmit­tel­barer Nähe zu russi­schen Grenzen sind NATO-Truppen statio­niert, die
Rake­ten­ab­wehr­an­lagen in Rumä­nien und Polen stellen eine unmit­tel­bare Bedro­hung durch
Atom­waffen dar, ebenso die Aufsto­ckung der Atom­waf­fen­ar­se­nale in Europa und die
wieder­holten und ernst­zu­neh­menden Drohungen des Westens mit Atom­waffen. Eine
weitere Bedro­hung wurde von Russ­land zu Recht in den zahl­rei­chen in der Nähe der
russi­schen Grenze etablierten Bio-Labors gesehen. Das Bild wird durch die immer mehr
ausge­wei­teten Wirt­schafts­sank­tionen gegen Russ­land und den Infor­ma­ti­ons­krieg mit
unrich­tigen Darstel­lungen abgerundet.
Das Ziel der Entmi­li­ta­ri­sie­rung der Ukraine erscheint unter diesem Gesichts­punkt als zulässig, wobei die Entna­zi­fi­zie­rung auf jene rechts­extremen Kräfte in der Ukraine verweisen soll, welche bereits im 2. Welt­krieg Massaker an Russen und Juden mit 50.000 Toten verur­sacht haben und welche auch derzeit die trei­benden Kräfte im Krieg gegen den Donbass sind.

16. Zusam­men­fas­send kann daher gesagt werden:

Nicht Russ­land verletzt das Völker­recht, sondern im Gegen­teil die Macht­haber in Kiew,
unter­stützt vom Westen, insbe­son­dere auch mit finan­zi­ellen Mitteln und Waffen, sowie
befeuert von den west­li­chen Medien.

17. Regel­ba­sierte Ordnung anstelle des Völkerrechts

Auch der Ukraine-Krieg ist ein Beispiel dafür, dass das Völker­recht keine Geltung mehr hat.
Im Westen wird die mangelnde Beach­tung und Besei­ti­gung des bishe­rigen Völkerrechtes
auch gar nicht bestritten. Man beruft sich nicht auf das Völker­recht, sondern auf die
„regel­ba­sierte Ordnung“, wobei diese regel­ba­sierte Ordnung vom Westen diktiert und mit
allen Mitteln versucht wird, sie durch­zu­setzen. Macht geht vor Recht.
Eine inter­na­tio­nale Diskus­sion und Initia­tive zur Wieder­her­stel­lung des Völker­rechts wäre
notwendig.

Eva Maria Barki
Wien, 23.05.2022

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+++27.5. 2022 / 15h30 +++

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